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Biebelried: Webseite durch Azubi-Ausbeutung

Biebelried hat eine schöne Webseite. Doch wer sie gemacht hat und unter welchen Bedingungen spottet den Ausbildungsstandards des 21. Jahrhunderts. Ein investigativer Bericht in Sachen Azubi-Ausbeutung.

Alles beginnt immer harmlos. Man surft abends und sucht als Redakteur nach berichtenswerten Neuigkeiten. Ich war schon hunderte Male zuvor auf biebelried.de – doch dann ist mir zum ersten Mal etwas aufgefallen, das mein Interesse sofort geweckt hat:

Screenshot von der Seite biebelried.de Rot eingerahmt: der unscheinbare Verweis auf "Bayern vernetzt"
Screenshot von der Seite biebelried.de
Rot eingerahmt: der unscheinbare Verweis auf „Bayern vernetzt“ – abgerufen 30.1.14

Unten links in der Ecke ist ein unscheinbares Logo eingebaut „Bayern vernetzt“. Netze, Datennetze und vernetzte Informationen interessierten mich schon immer. Auf einer kommunalen Seite sieht so ein Banner auch richtig innovativ aus. Also wollte ich sehen, welchen innovativen Weg Biebelried hier in der bayerischen Datenvernetzung gefunden hatte.

Doch der Link, der zwar erstmal auf die Domain bayern-vernetzt.de verweist, leitet den Benutzer direkt auf die Seite http://www.azubi-projekte.de. Das knallige Rot der Seite passte definitiv nicht zu dem schlichten Logo. Ich fing also an, die Seite sehr viel genauer zu lesen.

Screenshot der Webseite azubi-projekte.de Hier werden kostenlose Webseiten erstellt durch Azubis beworben.
Screenshot der Webseite azubi-projekte.de
Hier werden kostenlose Webseiten erstellt durch Azubis beworben. – abgerufen 30.1.14

Die Seite azubi-projekte.de schreibt in dicken großen Buchstaben, dass eine „neue Förderperiode 2013/2014“ begonnen habe. Man könne sich kostenlos eine Webseite erstellen lassen. Dies würde durch Azubis und Studenten der entsprechenden Fachrichtungen erledigt.

Aber das Internet ist ja nichts Neues und auch im Internet ist nichts geschenkt. Vor allem nicht, wenn man sich damit brüstet, dass es „10 Jahre Erfahrung“ gäbe und „3000 erfolgreich abgeschlossene Projekte“ existieren sollen. 3000 mal umsonst, was jede Firma ab ca. 1.000 € kostet? Da müsste jemand mindestens 3 Mio. € verschenkt haben. Da fand ich instinktiv doch was faul. Aus meiner Zeit bei unpolitischen und politischen Gruppierungen weiß ich, dass es sehr schwer ist, solche Geldsummen von Spendern einzuwerben. Es ist quasi ausgeschlossen, dass über diesen halbherzigen Spendenaufruf die gesamte Finanzierung zustande gekommen ist. Die Seite landet auch bei unpersonalisierter Google-Suche nicht im Ansatz auf „Azubi“ und „Spenden“ auf Seite 1. [Kurze technische Erklärung: Normalerweise merkt sich Google, was man am liebsten sucht und wo man surft, um treffendere Ergebnisse auszuliefern. Löscht man alle Cookies, schaltet den Privacy-Modus im Browser ein und googelt dann, kann Google die Suchanfrage einer Person nicht mehr zuordnen, das Ergebnis ist quasi von persönlichen Vorlieben bereinigt.] Nachdem der Verein Goodies im Gegenwert von mindestens 3 Mio. € verschenkt hat und ich mir immer noch nicht erklären konnte, wie die Finanzierung dieser Leistung zustande kam, suchte ich weiter.

Die Seite azubi-projekt.de schreibt auch, dass sie einem „Förderverein für regionale Entwicklung e.V.“ gehört, der in Potsdam am Bürohochhaus 2-4 gemeldet ist. Der hat natürlich auch eine Internetseite – und zwar hier: http://www.foerderverein-regionale-entwicklung.de/. Auch hier gibt es einen auf Punkt und Komma identischen Spendenaufruf, den Google nicht findet: http://www.foerderverein-regionale-entwicklung.de/texte/seite.php?id=28398.

Interessant sind auch die Pressemitteilungen dieses Vereins: Denn alle Pressemitteilungen des Vereins seit dem 1.7.2012 beschäftigen sich mit nur einem Thema. In der Überschrift wird klargestellt, dass Azubis viele Seiten erstellt hätten. Die angebliche Pressemitteilung besteht lediglich aus einer endlos langen Liste von Seiten. Das ist einerseits komisch, denn selbst der konservativste Schützenverein gibt mehr über sein Vereinsleben auf seiner Internetseite preis als dieser Förderverein. Ich schloss daraus, der Förderverein ist nur eine reine Stelle zum Durchbuchen von Geld. Die Formulierung „als gemeinnützig wirkender Verein“ suggeriert Gemeinnützigkeit im Sinne des Vereinsrechts – doch durch die juristisch geschickte Formulierung am Vereinsrecht vorbei und eine Formulierung auf der Spendenseite kann man davon ausgehen, dass der Verein weder gemeinnützig ist, noch wie vorgegeben gemeinnützig handelt:

Der Spender erhält dafür eine schriftliche Bestätigung seiner Spende. Allerdings wird aufgrund der wirtschaftlichen Tätigkeit der beteiligten Unternehmen für den Förderverein durch das Finanzamt eine steuerliche Begünstigung nicht gewährt, so dass die Spende nicht abzugsfähig ist. [Link, abgerufen am 30.1.2014]

Zwischenstand: Biebelried hat seine Webseite kostenlos von einem nicht gemeinnützigen, aber Gemeinnützigkeit suggerierenden Förderverein erhalten, der bereits 3000 Seiten nur von Azubis erstellen hat lassen.

Für mich waren damit immer noch 2 Fragen nicht beantwortet und neue kamen inzwischen hinzu:

  • Wer oder was finanziert den Verein?
  • Warum bauen nur Azubis die Seiten?

und jetzt neue Fragen:

  • Welche wirtschaftlichen Tätigkeiten werden ausgeführt?
  • Warum wird Gemeinnützigkeit simuliert?

Ich schaute mir also die endlos langen Listen in den Pressemitteilungen durch. Beim Durchklicken fällt dann irgendwann auch dem blindesten Webadmin auf, dass es eigentlich immer der gleiche Einheitsbrei an Webseite in farblicher Variation ist. Das lässt dann wieder darauf schließen, dass alle Seiten das gleiche CMS verwenden. [Erklärung CMS: Content Management System; zu deutsch Inhaltsverwaltungssystem; eine Zusammensetzung aus Datenbank und Programmbausteinchen, die Internetseiten verwaltbar machen.]

Nun, dass man sich früher oder später auf ein CMS bzw. eine Plattform spezialisiert, ist eigentlich nichts, was in der Arbeitswelt unüblich ist.

Absolut unüblich ist jedoch, dass Azubis dann ihre ganzen dreieinhalb Lehrjahre nur damit verbringen, mit einem einzigen CMS zu arbeiten. Zumal die Erstellung von Webseiten mit einem CMS der Generation „Facebook“ nicht als Ausbildung vorkommen dürfte – sondern eher als „Facebook-Postings im Accord erstellen“. Der Zweck eines CMS ist ja gerade die Senkung der technischen Barriere beim Verwalten von Inhalten. Wenn man es also aus Sicht des Lehrgehalts betrachtet, handelt es sich hier einfach nur um das stupide Zusammenklicken von vorprogrammierten Bausteinen. Oder anders gesagt: Wahrscheinlich waren sogar Indische IT-Arbeitskräfte – an die solche stupiden Tätigkeiten gerne outgesourced werden – zu teuer. Man kann also davon ausgehen, dass die Webseite von Biebelried nur durch den ausbildungsfernen Einsatz bzw. Missbrauch von Azubis erstellt werden konnte. Und dann wird auch das Spiel mit der Pseudo-Gemeinnützigkeit sehr schnell plausibel.

Jetzt wollte ich wissen, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten der Verein so treibt. Der einfachste Weg, das wieder herauszufinden, ist die „verschenkte“ technische Lösung – das CMS. Hier fing ich an, weiterzusuchen. Am ehesten ist ja zu erwarten, dass sowas in den Erklärungen zum Projektablauf dieser Kostenlos-Webseitenerstellung steht. Ich habe hier gefunden, um was es sich handelt:

Darüber hinaus stellen wir Ihnen kostenfrei zur Verfügung:

  • das Redaktionssystem PortUNA.cms – Programmierkenntnisse benötigen Sie dafür nicht
  • Unterstützung bei Fragen zum Aktualisieren Ihrer Daten
  • ein E-Mail-System für das Anlegen und Verwalten von E-Mail-Adressen

[Link, abgerufen am 30.1.14]

Und schon hat man seinen Gesuchten, er heißt „PortUNA.cms“. Noch nie was von gehört – obwohl ich fast sämtliche Text- und Datenbank-basierten OpenSource-Systeme schon mal in der Hand hatte.

Google lieferte mir dazu jedoch sofort ein Ergebnis: http://www.portuna.de/

Schon beim Runterscrollen war die nahe Bindung klar: gleiche Adresse, Potsdam, Bürohochhaus 2-4. Und auch, wo die Azubis angeworben werden, ist mehr als überdeutlich. Denn, wenn jedes halbe Jahr die Möglichkeit zum Ablegen der IHK-Prüfungen besteht, braucht so ein Konstrukt auch ganz klar jedes halbe Jahr wieder Nachschub, um weiter kostenlos Webseiten zu erstellen. Wie auf der PortUNA-Webseite beworben eine erfolgreiche Ausbildung und zukunftsträchtige Karriere starten [Link]? Ganz bestimmt nicht in einer solchen tristen Maschine [Link].

Die wirtschaftliche Verbindung des Vereins wird aber auch an einer anderen Stelle überdeutlich: Sämtliche „Förderprogramme“ des „Vereins“ [Link – abgerufen am 1.2.14] beziehen sich nur auf die Produkte der portUNA Neue Medien GmbH. Wer auch immer in der Verwaltung schon so naiv war, sich eine kostenlose Webseite von Azubis anfertigen zu lassen, der möchte ja vielleicht auch noch ein „Ratsinformationssystem“ haben. Die beworbene Trennung von öffentlichen und nicht-öffentlichen Inhalten ist ja nett. Nur werden durch die Speicherung der nicht-öffentlichen Informationen in diesem System die nicht-öffentlichen Informationen de facto an einen unbeteiligten Dritten („Förderverein“ bzw. portUNA Neue Medien GmbH) weitergegeben und somit quasi veröffentlicht. Die Kommunen laden aus technischer Sicht sogar diese vertraulichen Informationen selbst aktiv auf die Server dieses Organisationsgebildes, denn auf der Seite der Produktbeschreibung vom Ratsinformationssystem steht explizit nicht der Betrieb des Systems auf der IT-Infrastruktur der Kommune [Link – abgerufen 1.2.14]. Insbesondere im nichtöffentlichen Bereich werden oft sensible Dinge besprochen – zum Beispiel Grundstücksgeschäfte, Ausschreibungen oder sehr persönliche Angelegenheiten eines einzelnen Bürgers. Diese Dinge sind deswegen nicht-öffentlich, da Träger dieser Informationen der Gemeinde oder anderen massiven Schaden bzw. eigene Profite bescheren können. Wer schon skrupellos Azubis zum Erstellen kostenloser Webseiten ausbeutet, verdient eigentlich nicht das Vertrauen, dass die in dieses Ratsinformationssystem eingespeicherten Informationen vertrauenswürdig behandelt werden.

Die wirtschaftliche Verbindung zwischen dem „Verein“ und der PortUNA Neue Medien ist überdeutlich. Aber über die im Impressum genannten Geschäftsführer Daniel Brosowski, Stefan Hartung und Daniel Herzbach lassen sich noch weitere Firmen ausfindig machen. Zum Beispiel betreibt das Trio den „Wirtschaftsverlag Brandenburg“, oder beispielsweise das Portal www.potsdam-abc.de und weitere ähnliche Portale. Insbesondere im Hinblick auf das Ratsinformationssystem kann einem als möglicherweise betroffenen Bürger schlecht werden, wenn man liest, dass es offensichtlich im Zusammenhang mit diesen Portalen bereits einen massiven Datenschutzverstoß bei den Userdaten gegeben hat [Link – abgerufen am 1.2.14]

Zusammengefasst: Biebelried hat wahrscheinlich nur diese Webseite, weil sie nichts gekostet hat. Die Gemeinde hat sich entweder darüber täuschen lassen bzw. wurde darüber getäuscht, wie und von wem die Webseite erstellt wurde (Pseudo-Gemeinnützigkeit). Oder die Gemeinde hat es absichtlich und fahrlässig in Kauf genommen, dass Azubis ausgebeutet werden. Gerade Azubis, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, werden so zu Opfern der öffentlichen Verwaltung. Die Frage ist, was Biebelried nun für Konsequenzen daraus ziehen wird? Für sich und seine Zulieferer, für die immer noch bestehenden vertraglichen Verbindungen zu dieser Potsdamer „Firma“ bzw. dem Verein“ (die Seite wird dort ja immer noch betrieben), hinsichtlich ihres inzwischen auch wieder altbackenen Internetauftritts und hinsichtlich der moralischen Mitverantwortung an der ausbildungsfernen Ausbeutung von möglicherweise auch jugendlichen Azubis. Und je nachdem wie weit die Partnerschaft Biebelried’s geht, sind eventuell auch sehr viele vertrauliche Informationen der Kommune in die Hände Dritter gelangt.