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Der Bucklige

 

Der Bucklige rannte so schnell er konnte die Gasse hinunter. Er keuchte vor Anstrengung. Sein Gesicht war schweißnass und angstverzerrt, denn er rannte um sein Leben. Hinter ihm die tobende und brüllende Meute, Bewaffnet mit Knüppeln und Messern. Außer Kontrolle geratene Menschen, besessen von dem Wunsch, den vermeintlichen Mörder tot vor sich zu sehen. Immer wieder angefeuert von dem Grafen. Jenem Grafen, der seine Gemahlin vergiftete und durch geschicktes Intrigenspiel den Verdacht auf den armseligen Buckligen lenkte.

Auf Geheiß des Grafen war der Bucklige von den Dorfbewohnern gefangen genommen worden. Sie stellten ihn vor das Gericht, das sie selber bildeten. Und der Graf war der Ankläger.

Was nützte es dem armen Wicht, das er vehement seine Unschuld beteuerte?! Was zählte das Wort eines Krüppels, den niemand mochte, eines Ausgestoßenen, der nur dafür taugte, das man seinen Spott über ihn ergoss gegen das Wort eines geachteten Edelmannes?

Es war schier unglaublich, wie schnell der Bucklige mit seinen kurzen und krummen Beinen laufen konnte, aber die Angst vor dem tobenden Mob peitschte ihn nach vorn. Er rannte auf sein halb verfallenes Haus zu. Natürlich war er auch dort nicht sicher, aber wo sollte er sonst hin?

Er erreichte das Haus, riss die Holztür auf und schlüpfte hinein. Hastig schob er den eisernen Riegel vor. Dann strauchelt er schwer atmend weiter. Der Hausgang machte eine Rechtsbiegung und beinahe wäre er gegen die Mauer gelaufen. Keuchend lief er in seinen Wohnraum. Dieser war mehr als dürftig eingerichtet. Eine grob zusammengezimmerte Bank, ein ebenfalls grober Tisch, ein Lager aus Stroh, ein selbst gemauerter Herd. An der Wand ein Regal mit Töpfen und ein wurmstichiger Schrank. Das war sein Zuhause.

An der Wand hing ein Bild von seiner verstorbenen Mutter, welches irgendwann ein unbedeutender Maler angefertigt hatte. Das Gesicht war nur undeutlich zu erkennen bei dem diffusen Licht, das in dem Raum herrschte. Der Bucklige aber kniete vor dem Portrait und hob beschwörend die Hände.

„Mutter, Mutter hilf mir. Sie schlagen mich tot!“, jammerte er, während ihm der Speichel die Mundwinkel herablief.

Da hörte er auch schon das Schreien der Meute vor der Tür und seine Angst wuchs ins Unermessliche.

Der Mob stand vor der Tür und wusste nicht wirklich was er machen sollte. Da kam der Graf und grollte ungehalten:

„Was ist, warum holt ihr den verdammten Mörder nicht heraus?“

„Herr“, sagte einer der Häscher, „es heißt, das Haus sei verflucht.“

„Ihr fürchtet euch, ihr Memmen. Gut, dann werde ich den Hund selbst holen. Tretet die Tür ein.“

Einige Männer traten vor. Füße donnerten gegen die Tür, bis sie schließlich nachgab und berstend nach innen flog.

Der Graf zog seinen Degen und trat ein. Er wartete einen Moment, bis sich seine Augen an das diffuse Licht gewöhnt hatten, dann ging er weiter. Schon sah er den armen Krüppel, der ihn voller Furcht anstarrte, vor sich.

„Herr“, flehte dieser, „ich habe doch nichts getan.“

„Halt dein Maul.“

Der Graf ging mit gezücktem Degen auf den Ärmsten zu als er ein knirschendes Geräusch hörte. Irritiert blickte er nach links.

Der Haken, an dem das Bild hing, löste sich. Als würde ihn jemand herausziehen. Das Bild hatte plötzlich keinen Halt mehr und sackte nach unten. Es fiel auf einen Mauervorsprung, kippte nach vorn und der schwere Holzrahmen donnerte dem Grafen auf den Kopf. Mit einem schmerzhaften Stöhnen sackte der Adelige zusammen, während das Bild neben ihm auf den Boden fiel. Klirrend rutschte ihm der Degen aus der Hand. Halb benommen kniete der Graf auf dem Boden.

Der Bucklige aber sah an der Stelle, an der das Portrait seiner Mutter gehangen hatte, ein dunkles Rechteck. Ein Loch in der Wand. Ein Geheimgang.

Die Rettung.

Hastig stieg er in das Loch und verschwand.

Draußen aber hatten die Dorfbewohner ihren Mut zusammen genommen und stürmten schreiend in das Haus. Vor sich sahen sie auf dem Boden kniend eine Gestalt. Sie war im Halbdunkel nicht zu erkennen und wollte sich gerade aufrichten.

„Da ist er!“ brüllte einer, „Drauf Männer!“

„Aber wo ist der Graf?“ schrie ein anderer.

„Er hat ihn auch noch umgebracht! Schlagt ihn tot!“

Knüppel sausten nieder und Messer blitzten. Die aufgebrachte Meute hörte erst auf, als sich die Gestalt vor ihnen nicht mehr bewegte. Erst dann sah man sich den Toten genauer an.

„Es ist…der Graf.“ hauchte einer entsetzt.

„Kommt, wir verschwinden.“

Panikartig rannten sie hinaus.

So hatten die Mühlen der Gerechtigkeit doch noch richtig gemahlen und den wahren Schuldigen bestraft.

 

ENDE