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Asyl in Kitzingen – die Realität der Flüchtlinge

Die gegenwärtige Massenbewegung der Flüchtlinge ist eine entscheidende Facette der komplexen Wirklichkeit einer globalisierten Welt. Kaum ein Land wird nicht mit diesem Phänomen konfrontiert, entweder als Durchgangs- oder als Zielland der Bewegung. Dabei reist nur ein kleiner Teil der völkerrechtlich als Flüchtlinge definierten Menschen in eines der Industrieländer ein:

„Derzeit befinden sich weltweit fast 45,2 Millionen Menschen auf der Flucht. 15,4 Millionen von ihnen gelten nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtlinge. Vier von fünf Flüchtlingen (80 Prozent) leben in Entwicklungsländern, da die meisten Flüchtlinge lediglich in ein angrenzendes Nachbarland fliehen.“ (Quelle: http://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten.html)

„Derzeit befinden sich weltweit fast 45,2 Millionen Menschen auf der Flucht. 15,4 Millionen von ihnen gelten nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtlinge.

Der Weg nach Europa ist meist weit, gefährlich und teuer, die Zukunft in den EU-Staaten ungewiss. Erreicht ein Asylsuchender das europäische Staatengebiet, so kann er Asyl beantragen, wird allerdings je nach Ankunftsland mit unterschiedlichen Rechtssystemen konfrontiert, muss sogar mit Inhaftierung rechnen, obwohl nach Genfer Flüchtlingskonvention die illegale Einreise oder der illegale Aufenthalt eines Flüchtlings straffrei ist. Dennoch: „Auch in europäischen Ländern werden Asylbewerber direkt nach der Einreise und der Asylantragstellung für die gesamte Dauer oder einen Teilabschnitt des Verfahrens in Haft genommen. Mit der Haft während des Verfahrens müssen beispielsweise Asylsuchende in Österreich rechnen, die nicht direkt aus dem behaupteten Verfolgerland, sondern über ein Drittland eingereist sind. Auch in anderen europäischen Ländern – wie Großbritannien und Dänemark – können Flüchtlinge wegen ihres Asylantrags inhaftiert werden.“ (Quelle: http://www.amnesty.de/umleitung/1999/deu05/129)

 

Rechtliche Grundlage und Zahlen zum Flüchtlingsschutz in der Bundesrepublik

Nach den Kriterien der ‚Genfer Flüchtlingskonvention‘ (GFK 1951/ergänzendes Protokoll 1967) erfüllt ein Mensch den Flüchtlingsstatus,  insoweit ihm in seinem Heimatstaat aufgrund von ethnischer, religiöser, sozialer, nationaler Zugehörigkeit oder politischen Überzeugung vom Staat politische Verfolgung droht. Die Feststellung des Flüchtlingsstatus erfolgt durch nationale Asylverfahren unter Beaufsichtigung durch den UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen). In Deutschland erhalten diese Menschen Schutz nach § 60 (1) AufenthG-GFK.  Solange dieses Verfahren nicht abgeschlossen ist, wird von Asylsuchenden gesprochen.

„ Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“

Mit der Abfassung des  Artikels 16 des Grundgesetzes „(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ übernahm die Bundesrepublik Deutschland frühzeitig eine Verantwortung für politische Flüchtlinge. 1993 wurde der Artikel 16a um einschränkende Punkte erweitert. Es trat die sogenannte Drittstaatenregelung in Kraft, nach der sich auf das Asylrecht „nicht berufen [kann], wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.“ Ebenso wird das Asylrecht in dem Falle nicht gewährt, da der Antragsteller aus einem der ‚sicheren Herkunftsstaaten‘ stammt, „bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“

Der Antrag auf Asyl muss beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eingereicht werden. Dieses klärt, welchen rechtlichen Status die antragstellende Person erhält. Nach Angaben des Bundesamtes wurden 2012 61.826 Anträge eingereicht. Davon erhielten 740 Personen (1,2%) eine Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG, während 8.024 Menschen (13,0%) Flüchtlingsschutz gem. § 60 Abs. 1 AufenthG-GFK gewährt wurde. In diesen beiden Fällen wird dem Asylberechtigten/Flüchtling ein vorerst befristetes Aufenthaltsrecht für längstens drei Jahre ausgestellt. Nach Ablauf des befristeten Aufenthaltsrechtes wird erneut der Status geprüft.  In einem dritten Fall kann vom Bundesamt das Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG festgestellt werden, insoweit die GFK-Kriterien nicht erfüllt werden, jedoch eine Schutzbedürftigkeit festgestellt wird (Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit des Menschen durch Abschiebung in seinen Heimatstaat). Dieser Status ist ein befristetes Bleiberecht mit eingeschränkten sozialen Rechten.

Das Abschiebungsverbot betraf 2012 8.376 Menschen (13,5%).Der Rest der Anträge wurde entweder aus inhaltlichen Gründen (30.700, 49,7%) oder durch eine formelle Entscheidung ohne inhaltliche Prüfung (13.986, 22,6%) vom Bundesamt abgelehnt. Die formelle Entscheidung bezieht sich bspw. auf das Dublinverfahren, wodurch die Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaates für eine asylsuchende Person festgestellt wird. Im Falle der Ablehnung eines Asylantrages kann der Asylsuchende vor dem Verwaltungsgericht Einspruch einlegen.

Die Zahlen sind in den letzten zehn Jahren starken Schwankungen unterworfen gewesen. Dies betrifft sowohl die absoluten Zahlen der Anträge, wie die relativen Zahlen der Entscheidungen. 2012 lag die Zahl der Anträge (61.826) in einer Höhe, die seit dem Jahr 2004 (61.961) nicht mehr erreicht worden war. Der Trend der Anträge hatte bis 2008 (20.817) kontinuierlich abgenommen, nahm danach wieder zu. Bei den relativen Zahlen der Entscheidungen blieb der Anteil der vergebenen Asylberechtigungen (GG) konstant unter der 2-Prozentmarke (zwischen 0,8 und 1,6%), während sich die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus zwischen 1,7 und 33,6% bewegte. Das Abschiebungsverbot nahm kontinuierlich zu, von 1,4% im Jahr 2005 über 5,9% im Jahr 2011, um dann im Jahr 2012 auf 13,5% zu kommen. Im Durchschnitt wurden drei Viertel aller Anträge abgelehnt oder per formeller Entscheidung abgewiesen.

((1): http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundesamt-in-zahlen-2012.pdf?__blob=publicationFile)

 

Die konkrete Realität hinter den Zahlen – Menschen in Kitzingen und Kleinlangheim

Während des Antragsverfahrens erhalten die Asylsuchenden eine staatliche Grundversorgung in Form von einem Taschengeld für Hygieneartikel und Kleidung, einem Nahrungsmittelpaket sowie Unterkunft in einem Asylbewerberheim. Zusätzliche Unterstützung erhalten sie von privaten Initiativen, wie dem Arbeitskreis Asyl in Kitzingen, einem Projekt der Caritas in Zusammenarbeit mit der Stiftung EBWK. Wir sprachen mit Marija Hofman-Sircelj, einer Mitarbeiterin des Arbeitskreises Asyl, über die konkreten Probleme eines Asylsuchenden in Kitzingen. In Zusammenarbeit mit anderen Freiwilligen unterstützt sie Asylbewerber auf ihrem beschwerlichen Weg in eine neue Existenz in Deutschland. Das Aufgabenfeld ist weit gesteckt. Es reicht von der Sammlung von Spenden über die Begleitung zu Behörden und Gerichtsverfahren bis hin zur psychologischen Betreuung. Die betreuten Personen kommen hauptsächlich aus dem Nahen und Mittleren Osten (Iran, Irak, Afghanistan, Pakistan), den GUS-Staaten (Tscheschenien, Aserbaidschan oder Weißrussland), Georgien, Ex-Jugoslawien und Äthiopien. 

Die Schwierigkeiten sind zahlreich. So bemängelt Hofman-Sircelj, dass die Behörden und Gerichte sich zu wenig für den konkreten Asylbewerber interessieren. Es komme vor, dass einem Kosovoalbaner ein serbischer Übersetzer zugeteilt würde; Hofman-Sircelj achtet hierbei darauf, dass dem Asylbewerber der richtige Dolmetscher zur Seite gestellt wird.

In dieser Zeit erhalten die Asylsuchenden Woche für Woche dieselbe Nahrungsmittelzusammensetzung.

In den Heimen bestanden dieselben Probleme. Erst der Arbeitskreis Asyl konnte durchsetzen, dass die verschiedenen Nationalitäten getrennt voneinander untergebracht werden, in manchen Fällen eine Notwendigkeit, um Streitereien zwischen den Asylbewerbern zu vermeiden. Hofman-Sircelj kritisiert zudem die gängige Praxis der Nahrungsmittelpakete, die stets aus derselben Zusammensetzung bestehen. Niemand könne sagen, wie lange sich ein Prozess zur Anerkennung des Asylstatus hinzieht. Nach den Zahlen des Bundesamtes MF beträgt das durchschnittliche Gesamtasylverfahren, d.h. von der Antragsstellung bis zur letztinstanzlichen Entscheidung, knapp über 12 Monate. In dieser Zeit erhalten die Asylsuchenden Woche für Woche dieselbe Nahrungsmittelzusammensetzung.

Mit Anerkennung des Aufenthaltsrechtes beginnt eine problematische Übergangszeit für den Flüchtling, berichtet Hofman-Sircelj. An diesem Punkt fallen die staatlichen Notunterstützungen, auf die ein Antragssteller ein Anrecht besitzt, weg. Konkret bedeute dies den Verlust des Platzes in einem Asylbewerberheim, den Verzicht auf die Verpflegungspakete und das Taschengeld.

Nach Anerkennung müsse der Platz im Asylbewerberheim so schnell wie möglich geräumt werden.

Das Anrecht auf Sozialhilfe, welches ein anerkannter Flüchtling besitzt, kann faktisch erst greifen, nachdem eine komplizierte Prozedur durchlaufen wurde. Zuerst müsse der Antrag auf einen Pass bei der Ausländerbehörde gestellt werden. Die Ausstellung des Passes könne sechs bis acht Wochen dauern, in manchen Fällen sogar bis zu zwölf Wochen. Ohne diesen Pass allerdings sei es unmöglich, ein Bankkonto einzurichten und ohne ein Bankkonto gäbe es keine Möglichkeit, die Sozialhilfe zu erhalten. Dieselben Schwierigkeiten bestünden bei den gesetzlichen Krankenversicherungen. „In dieser Zeit sind alle mittellos und auf Spenden und die Hilfe von guten Menschen angewiesen.“

Probleme bereite auch die Unterbringung der Flüchtlinge. Nach Anerkennung müsse der Platz im Asylbewerberheim so schnell wie möglich geräumt werden. Adäquaten Wohnraum in Kitzingen zu finden sei allerdings schwer, „da 1. die Mieten zu hoch sind für die Tarife des Jobcenters und 2. ausländische Mieter oftmals nicht erwünscht sind.“Viele Flüchtlinge sind allein hergekommen. Das ist nicht einfach. Die meiste Zeit warten die Flüchtlinge – zuerst auf eine Entscheidung vom Gericht, dann auf einen Pass, dann auf eine Wohnung.

  „Da müssen sie Geduld haben und jemanden, der ihnen gut zuredet. Ich selbst musste 39 Jahre auf einen Pass warten. Ich kenne das“, berichtet Hofman-Sircelj.

Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung weiß die gebürtige Slowenin (Jahrgang 1945) um die Bedürfnisse der Flüchtlinge. Es sei keine Selbstverständlichkeit sich in der Fremde zu Recht zu finden. Und hieraus leitet sie auch das Konzept ihrer Hilfe ab. „Es geht uns darum, die Flüchtlinge soweit fit zu machen, dass sie später anderen Flüchtlingen die Hilfe geben können, die sie heute von uns erhalten.“

Hofman-Sircelj begleitet die Flüchtlinge bei den Behördengängen. Ohne professionelle Hilfe würde sich der Flüchtling kaum orientieren können. Wo muss welcher Antrag eingereicht werden, um welche Leistung zu erhalten? Wie muss ein Antrag ausgefüllt werden? Wie muss man sich als Antragsteller verhalten? Welche Auflagen, Pflichten und Rechte besitzt ein Flüchtling? Über alle diese Fragen muss ein Flüchtling aufgeklärt werden, damit er sich zu Recht finden kann. „Der Schlüssel ist natürlich die Sprache!“ Dementsprechend sorgt Marija Hofman-Sircelj dafür, dass die Flüchtlinge in Deutsch-Kursen unterkommen. „Wenn sie kein Deutsch lernen, dann kommen sie nicht weit. Das wissen die Flüchtlinge selbst. Aber leider gibt es viel zu wenige Kurse.“

Über diese Vermittlung zwischen Flüchtlingen und der Verwaltung hinaus, wird Marija Hofman-Sircelj auch mit anderen Schwierigkeiten konfrontiert. „Da gibt es viele Probleme wie Scheidung, Vergewaltigung, männliche Gewalt gegen Ehefrauen – d.h. Einschalten von Polizei, Unterbringung in Frauenhäusern und im Krankenhaus Werneck.“

Im Gegensatz zu diesen Erfahrungen betont Hofmann-Sircelj, gäbe es auch sehr viele schöne Erlebnisse, wie gemeinsam verbrachte Geburtstagsfeiern, organisierte Weihnachtsfeste im Kreise der Flüchtlingsgemeinschaft oder Geburten. Der Hauptteil der Flüchtlinge bleibe in Kitzingen und Kleinlangheim nur über die Dauer des Anerkennungsverfahrens. Für anerkannte Flüchtlinge bieten diese Orte keine attraktive Alternative zu Großstädten wie Köln, Hamburg, München oder Berlin. Hier bestünden bessere Arbeitsmarktchancen und die Möglichkeit, Kontakte zu den dortigen Kulturkreisen zu knüpfen. Der Kontakt zu dem Arbeitskreis Asyl und Marija Hofman-Sircelj bräche aber nur in seltenen Fällen durch den Wegzug ab.