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Hass

Du siehst ihn nicht. Du hörst ihn nicht. Aber er ist da. Wenn er in dein Bewusstsein, deine Seele eindringt, wirst du ihn fühlen. Und du wirst dich nicht wehren können, gegen seine Bosheit, seine Macht. Er wird dich beherrschen.

Jene Nacht war er wieder unterwegs, um seine unheilvolle Aufgabe zu erfüllen. Er drang durch die Mauern, als ein körperloses Etwas.

Rita Baumann konnte nicht einschlafen. Schuld daran war das permanente Schnarchen ihres Mannes. Sie wälzte sich hin und her, atmete laut und gereizt aus. Schließlich stand sie auf und ging im Dunkel in die Küche. Rita zündete sich eine Zigarette an. Tief inhalierte sie und schaute aus dem Fenster. Der Vollmond stand als eine fahlgelbe Scheibe am Himmel und spendete genug Helligkeit, sodass die Frau kein Licht anknipsen musste.

Wieder dieses widerliche Schnarchen. Bis in die Küche drang es. Rita Baumann drückte die Kippe im Aschenbecher aus. Ihr Gesicht verzog sich wütend. Aber sie war nicht nur wütend. Etwas ihr ihr rumorte. Etwas, dass sie sich nicht erklären konnte. Ihre Wut steigerte sich in Hass.

Ja, plötzlich hasste sie diesen Mann. Hasste alles an ihm. Wie er das Essen in sich hineinschlang. Wie er sich bewegte. Wie er roch. Wie er sie anschaute, wenn er etwas von ihr wollte.

Und wieder schnarchte und röchelte er, als wolle er verenden.

In Ritas Kopf spielte sich ein wirres Szenario aus Gefühlen ab. Ihr Gesicht wurde zu einer bösartigen Fratze. Wütend schlug sie auf mit der Hand auf den Tisch. Dabei streifte sie etwas Langes, Rundes.

Den Griff des Küchenmessers!

Er hatte sich etwas zu Essen abgeschnitten und es einfach liegenlassen. Verdammt, konnte sie ihn nur hinterher räumen? War sie seine Dienstmagd? Sie hatte diesen Mann satt. So unendlich satt. Wie konnte sie ihn nur jemals geliebt haben?

Und dann suchte ihre Hand den Griff des Messers. Entschlossen umfasste sie ihn. Leise ging sie in das Schlafzimmer zurück. Ab und zu schimmerte die Schneide silbrig im Mondlicht.

Da lag er. Halb offen war sein Mund. Er schwitzte. Ein paar Haare klebten an seiner Stirn. Schweißgeruch strömte ihr entgegen.

Angewidert verzog sich ihr Gesicht zu einer teuflischen Fratze, bleckte die Zähne wie ein tollwütiges Tier. In ihrem Innern schien plötzlich eine unhörbare Stimme zu Keifen:

„TU ES…TU ES…!“

Rita riss die Messerhand hoch. Zwei…drei Mal blitzte das Messer auf, als sie es kraftvoll nach unten stieß. Ihr Mann beugte sich auf, starrte sie aus weit aufgerissenen Augen kurz an, röchelte und sank ins Bett zurück. Auf seinem Schlafanzug bildete sich ein kleiner, dunkler Fleck, der rasch größer wurde. Erst jetzt begriff die Frau, was sie getan hatte. Entsetzt ließ sie das Messer los. Klirrend fiel es zu Boden.

Er aber verließ ihren Geist und zog sich zurück. Seine Aufgabe war erfüllt. Aber schon bald würde er sich neue Opfer suchen.

ER, DER HASS!

ENDE

Paul Hartmann