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„Mainstockheimer Exodus“: Erprobtes Asylversagen

Prolog:

Inzwischen ist die Mainstockheimer Unterkunft geräumt.

Nach dem letzten Artikel zu Mainstockheim, der durch seine provokative Überschrift vor allem zur Diskussion und Reflektion anregen sollte, erhielt ich einige hundert Zuschriften. In den Kommentaren, aber auch per Email oder Post. Meine Handynummer wurde bei diversen Diensten rumgereicht, die Werbeanrufe machen. Aber auch mich hat man nach Lust und Laune fast eine Woche lang, rund um die Uhr angerufen.

Viele dieser Kontaktaufnahmen verliefen ungefähr so: Zuerst wüste Beschimpfungen – die mich nicht interessierten. Heikles Thema, soll man mich halt bitte grob beschimpfen, wenn es erleichtert. Ich stehe da drüber. Danach folgten immer Behauptungen über die Asylbewerber, und wie schlimm diese sind. Hier interessierte mich immer, wer hat was gesehen, über wie viele Stufen wurde die Information transportiert und wie bei beim Kinderspiel „Stille Post“ möglicherweise verkürzt, verfälscht oder falsch verstanden. Primäre Quellen gibt es, bei denen die sich so sehr aufregten, dass sie sogar meine private Handynummer ausfindig machten, kaum.

Die Beitrag der MainPost zur Aufheizung der Lage im Mainstockheim

Bei einem nicht zu verachteten Teil derer, die sich hier zu Wort melden, führt die Quelle ins Internet zu Foren oder sozialen Netzwerken (siehe letzter Beitrag). Aber auch oft zu anderen Medien, wie MainPost, infranken etc. Jedoch beziehen diese Artikel sich wieder ganz allgemein auf Bürger. Damit trägt auch die MainPost dazu bei, ein sich selbst referenzierendes Gebilde zu bauen, aus dem Hass und Unwissen geschöpft wird.

Außerdem tut sich die MainPost schwer, klare Worte zu finden. Geht es beispielsweise um Deutsche, die sich mit Baseballschlägern bewaffnen, „um für Ordnung zu sorgen“, redet die MainPost unscheinbar lediglich von „Personengruppen“. Geht es um Angreifer, die sogar in die Unterkunft eingedrungen sind um da drinen zu randalieren, wird verschwiegen, woher diese kamen. Geht es hingegen um die Bewohner der Unterkunft, ist selbst die Mülltrennung recht um ein Bild vom sich schlecht verhaltenden Flüchtling zu zeichnen. Überregionale Medien wie der Focus sind da hingegen deutlicher: Anwohner kamen mit Baseballschlägern zum Flüchtlingsheim – Bürgermeister: „Wir hatten keine Wahl

Natürlich verkauft sich eine Zeitung in einem Ort schlecht, über den schlecht berichtet wird. Aber Bürgerwehren zu Personengruppen zu beschönigen und Informationen auszulassen ist auch keine Alternative um den Verkauf zu fördern.

Es fehlt eine Anlaufstelle für Bürger, Flüchtlinge und Asylbewerber!

Wenn man hier schon ein kleines Fazit aus dieser etwas unfreiwillig übernommenen Rolle der „beschimpfbaren Ausheulschulter“ ziehen kann, dann dass ein Ansprechpartner fehlt. Ein Bürgermeister, der sich vor allem aus der Sichtweise der Bürger (und somit auch gegen die Untergebrachten) engagiert, kann dieser Ansprechpartner nicht sein.

Auch die Polizei ist eher nicht geeignet, sie ist bestenfalls das allerletzte Mittel in der Not. Mit Platzverweisen schlichtet man keinen Konflikt, man verschärft ihn nur, weil sich immer einer unfair behandelt fühlt. Nicht alles was aus unserem kulturellen Standpunkt nicht ok ist, kann angezeigt werden. Nicht für alles, dass angezeigt wird, folgen Ermittlungen. Und nicht für alles, das man anzeigen könnte und Ermittlungen folgen müssten, ist die Anzeige auch das richtige Mittel zur Lösung.

Es braucht hier einen Ansprechpartner, der den Untergebrachten die Vorgänge um Sie herum in ihrer Sprache erklären kann – sonst werden aufgrund unterschiedlichen kulturellen Standpunkten, Sprachen, Gesten, Handlungen und Mimiken diese Vorgänge falsch verstanden. Auch das ist extrem begünstigend für eine solche Eskalation.

Diese Funktion wird oft von freiwilligen Bürgern übernommen. Aber auch sie stoßen an ihre Grenzen und haben es in dieser aufgeheizten Stimmung extrem schwer, mit den Beteiligten in Kontakt zu kommen oder zu bleiben. Weil es dann im Konflikt keinen Austausch gibt, die falschen Mittel falsch eingesetzt werden, kann diese Eskalation überhaupt erst so stattfinden.

Mobbing als Ausgang?

Nach all diesen Emails und Telefonaten bildet sich ein klares Bild heraus: Eine im Kern kleine Gruppe – nicht zwangsweise nur aus Mainstockheimern – die sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Asylbewerber zu „provozieren“ ist der Nukleus. Mir wurde am Telefon prahlend erzählt, dass dazu die einfachen Methoden des Nachbar-Mobbings verwendet wurden. Zwei kleine Beispiele:

Nachts sollen PKWs in die Löwenwirtsgasse gefahren sein und dort vor der Unterkunft den getunten Motor mehrfach hochgedreht haben. Danach sind die PKWs wieder weggefahren. Es wurde eine Flasche dem PKW hinterhergeschleudert.

Nachts sollen kleine Kieselsteinchen an die Fenster der Asylbewerber geworfen worden sein. Diese rissen danach das Fenster auf und riefen – in ihrer slavischen Muttersprache – etwas sehr laut auf die Straße hinaus.

Die Attacken, von denen einer am Handy so stolz prahlte, waren immer so ausgerichtet, dass der Angriff für die Untergebrachten extrem nervig war, aber Anwohner meist nur das reaktive Fehlverhalten aus der Unterkunft mitbekamen. So lag im ersten Fall eine zerbrochene Flasche auf der Straße – im zweiten Fall bekamen die Anwohner mit, dass hier laut aus dem Fenster gerufen wurde. So könnte der Eindruck entstanden sein, dass hier die ganze Nacht excessive Parties gelaufen wären. Etwas, dass bis heute immer wieder in der Mainstockheimer Bürgerschaft als Behauptung vernehmbar ist.

Angekratzte Psyche

Wenn diese Attacken auch nur eine Woche angedauert haben, dann ist es gut vorstellbar, dass ein nicht gefestigter junger Mann oder eine Clique psychisch nicht gefestigter junger Männer, dabei in gewisser Weise „durch dreht“. Einerseits haben sie noch an den Erlebnissen der Flucht zu knabbern, denn Schleuser vom Balkan sind nicht zimperlich.

Sie haben dann keinen, an den sie sich wenden können, keinen behördlichen Ansprechpartner, keine Freunde, keinen Seelsorger. Aber genug Menschen um einen herum, die offen zur Schau tragen, dass Sie alle gegen einen sind. Irgendwann unterscheiden solche jungen Männer nicht mehr zwischen einem beliebigen Passant und jemanden der offen zur Schau trägt, dass er Asylbewerber nicht mag. Man könnte von einer Radikalisierung oder auch inneren Abschottung sprechen.

Es kommt weiteres Fehlverhalten dazu, dass immer mehr Bürger gegen die kleinere Gruppe der Untergebrachten aufbringt. So wird aus dem offenen zur Schau stellen von Ablehnung eine offene Aggression. Dann gab es da noch das unrühmliche Verhalten einer Gruppe türkisch-stämmiger Deutscher. Und da die Asylbewerber in Ihrer Kultur verankert sind, nehmen sie sich halt Stuhlbeine und stellen sich schützend vor Ihre Unterkunft. Ab hier wird daraus eine Gewaltspirale – bei der Bürger eingepeitscht von Kommentaren auf Sozialen Medien (siehe letzter Beitrag) plus einseitiger Berichterstattung der MainPost und psychologisch schlecht betreute Asylbewerber aufeinander treffen. Einen Gewinner gibt es dabei nicht – beide Seiten tragen nur den gegenseitigen Hass für die nächste Eskalationsstufe davon.

Mainstockheim als Blaupause für andere Orte

Der Anrufer, der so stolz erzählte, wie die Asylbewerber mit kleinen Dingen zur Weißglut gebracht wurden, meinte auch, dass demnächst in anderen Orten diese Eskalationsstrategie anwenden zu wollen. Der „Mainstockheimer Exodus“, wie er es nennt, sei ein „erprobtes Asylversagen“, der „dieses Pack schon noch wegbringen wird“. Deutschland solle sich ein paar Exil-Inseln zulegen und dort alle Asylsuchenden und Flüchtlinge konzentrieren.

Rechts ist keiner? Rechts sind alle?

Der Mainstockheimer Bürgermeister Karl-Dieter Fuchs spricht mantraartig allen Pressevertretern zu, dass es keinen rechten Hintergrund jemals gegeben habe. Alle Schuld liege bei den sich falsch verhaltenden Asylbewerbern.

Wenn man annimmt, dass Fuchs selbst so stark von der Gewaltspirale gefesselt ist, dass er zu einer Reflektion der Vorgänge nicht mehr in der Lage ist, kann man dieser Argumentation von Fuchs folgen. Die Ausrede wäre vereinfacht Naivität und Unwissen. Denn genau diese Reflektion ist die Aufgabe von Gemeindeoberhäuptern in Mainstockheim und Clanältesten auf dem Balkan. Deswegen handelt es sich in beiden Kulturen um Autoritäten. Nur wenn man annimmt, dass Fuchs das Wohl und Wehe seiner Gemeinde nicht reflektiert gibt es keinen rechten Hintergrund.

Wenn man aber annimmt, dass Fuchs reflektierend in Kauf nahm, dass es diese Eskalation gibt, um die Asylbewerber los zu bekommen, dann steht er ganz vorne mit dabei, wenn es um gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit geht. Dann handelte er aus dem Amt heraus gegen die Unterkunft. Immerhin ist Fuchs Bürgermeister seit 1990 – Naivität und Unwissenheit ist da kaum als Ausrede vorstellbar.

Ich hatte Herrm Fuchs Fragen dazu geschickt, wie er versucht hat, die Eskalation einzudämmen, noch bevor die Unterkunft geräumt war. Welche Maßnahmen er ergriffen hat, welche noch folgen werden. Eine Antwort bekam ich darauf nicht.

Im Gespräch in Mainstockheim mit anderen Journalisten habe ich aber erfahren, dass der einzige Wunsch, den das Gemeindeoberhaupt an das Landratsamt und die Regierung von Unterfranken herangetragen hat, die Deportation der untergebrachten Personen war. Es wurde nicht versucht, mit einem Psychologen die destabilisierten jungen Männer aus dem Balkan wieder einzufangen; Es wurde nichts anderes gewünscht als einfach nur die Deportation von 24 Personen – oder beschönigt ausgedrückt die Räumung der Unterkunft.

Somit bleibt nur eine Folgerung zur Einordnung des gesamten Zusammenhangs: Eine kleine Gruppe „Brandstifter“ greift die fremdenfeindliche Stimmung der Bürgerschaft auf und spielt mit ihr. Die fremdenfeindlich eingestimmten Bürger sind dankbar für jeden Vorwand und bauen sich per „Stille Post“ ihre eigenen Geschichten. Die lokale Presse nimmt diese auf und berichtet einseitig, denn Asylbewerber kaufen keine Zeitungen. Daraus werden dann weitere fremdenfeindliche und vorurteilsbeladene Geschichten in der Bürgerschaft gestrickt. Am Ende eskaliert alles explosionsartig. Und Politiker profilieren sich mit der Räumung von ganzen Unterkünften. Aber rechts ist angeblich kein Einziger von Allen jemals gewesen.

Im letzten Beitrag wurde in Kommentaren oft gefordert, ich solle mich schämen. Seid versichert, das tue ich jetzt. Für Euch. Für Mainstockheim.