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Wahre Liebe

Der Baron von Gratersbronn war in die Jahre gekommen und natürlich auch seine Gemahlin. Er sah, wie die einstige Rose langsam verwelkte, fand keinen Gefallen mehr an ihr. Der Baron gierte nach jungem Fleisch. Und er war reich genug, um sich eine blutjunge Mätresse zu halten. Dabei war ihm die Baronin im Wege. Er wollte sie loshaben.  Am besten durch den Tod! Aber der Verdacht durfte nicht auf ihn fallen. Er wollte nicht deswegen irgendwann am Galgen baumeln.

Ein sehr altes Buch eines seiner Urahnen sollte ihm dabei dienlich sein. Er hatte es zufällig in der Familienbibliothek gefunden. Es handelte ausschließlich von schwarzer Magie. Wochen-, ja monatelang schon studierte er die alten Schriften. Immer wieder schlug er die vergilbten, muffig riechenden Seiten auf. Es dauerte lange, bis er hinter das eine oder andere dunkle Geheimnis kam.
Aber heute würde es soweit sein. Heute würde einen Geist aus seiner Ahnenreihe beschwören. Sein Name war Dolf von Gratersbronn. Er war damals als mehrfacher Mörder angeklagt und verurteilt worden zum Tod durch den Strang.
Der Baron hatte sich in der Bibliothek eingeschlossen und die Vorhänge zugezogen, sodass ein dumpfes Licht im Raum vorherrschte. Er saß an seinem reich verschnörkelten Tisch und hatte das unheilvolle Buch aufgeschlagen vor sich liegen. Aber eigentlich brauchte er es nicht. Zu oft schon hatte er die magische Formel gelesen. Sie hatte sich eingebrannt in sein Gehirn.
Der Adelige schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch. Dann begann er langsam und deutlich die Formel zu sprechen. Seltsame Worte waren es, in keiner normalen Sprache der Welt zu finden. Und immer wieder kam der Name des zu Rufenden vor.
„DOLF……DOLF………DOLF………..“
Der Baron blieb noch einige Augenblicke still mit geschlossenen Augen sitzen, als er plötzlich eine unnatürliche Kälte im Raum spürte.
„Jaaaaa…..du hast mich gerufen…was willst du…?“eine hauchende Stimme war zu hören. Fast melodiös konnte man den Satz nennen, da die Stimmlage sich ständig von hohen zu tiefen Tönen änderte und umgekehrt.
Baron von Gratersbronn riss erschrocken die Augen auf. Hatte er etwa doch nicht mit einem Gelingen der Beschwörung gerechnet? Zweifelte er plötzlich daran, ob dies der richtige Weg war? Aber gleichviel, ob er es begrüßte oder bedauerte, er hatte diesen Weg eingeschlagen und musste ihn zu Ende gehen, denn der Geist des Dolf von Gratersbronn saß vor ihm.
Durchscheinend war er und in schwarze Lumpen gehüllt. Ständig war sein Kopf in Bewegung, fiel langsam von der einen Seite auf die andere, sank nach unten oder wurde angehoben. Dann konnte man die breite Narbe am Hals sehen, die damals der Strick hinterlassen hatte. Auch der Körper bewegte sich ständig, als würde er sich in der Melodie eines unhörbaren Liedes wiegen. Dabei starrte er den Adligen ununterbrochen aus seinen toten Augen an. Er bot einen schrecklichen, unheimlichen Anblick.
Der Baron war unfähig zu sprechen. Sein Mund war trocken, sein Gesicht bleich. Trotz der Kälte bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Schwer ging sein Atem.
„Ich frage… dich noch einmal… was willst du…? Warum antwortest du nicht…? Ich bin sehr ungeduldig…“ Wieder klang der Satz beinahe wie eine Melodie. Aber drohend klang sie, sehr drohend.
Der Adelige räusperte sich die Kehle frei. Seine Stimme klang kratzig und zitterte.
„Meine…Frau…!“
„Du möchtest sie loswerden…nicht wahr…?“ Der Baron nickte nur.
„Soll sie…sterben…?“ Wieder nickte der Schuft.
„Und ich…soll es für dich tun…?“
„Ja…“ presste der Baron hervor.
„Guuut…, ich werde es tun…, ich morde gerne.“ Dann senkte er seinen Kopf und glotzte den Adeligen von unten an. Dieser hatte noch niemals einen solch bösen Blick gesehen. Er erschauderte und furchtbare Angst peitschte in ihm hoch. Der Geist zog die Oberlippen hoch wie ein tollwütiges Tier und man konnte seine schwarzen, fauligen Zähne sehn. Hasserfüllt stieß er hervor:
„Es ist ein herrliches Gefühl, wenn man Herr ist über Leben und Tod!“ Dabei presste er die Fäuste zusammen, das die mageren Finger knackten wie brechende, ausgetrocknete Zweige. Doch sehr schnell entspannte er sich wieder und lächelte den Baron süffisant an:
„Reite morgen sehr früh aus. Wenn du des Mittags heimkehrst ist es geschehen.“
Mit einem widerlichem Lachen verschwand der Geist und mit ihm die unnatürliche Kälte.

Der Halunke tat, wie ihm der Geist geraten hatte. Noch ehe seine Gemahlin wach war, ritt er davon. Diese räkelte sich in ihrem Bett und zog unwillkürlich die Bettdecke über ihre Schultern, denn eine seltsame Kälte herrschte plötzlich in dem Schlafgemach vor.
„Guten Morgen, mein Täubchen…“
Die Baronin war sofort hellwach und von einem Moment zum nächsten schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie schnellte hoch und blickte nach links, wo höhnisch lächelnd der Geist saß und sie anstarrte. Sie lehnte sich soweit wie möglich zurück und hauchte angsterfüllt:
„Wer…seid ihr?“
Der Unheimliche deutete tatsächlich eine leichte Verbeugung an. „Gestattet das ich mich voprstelle: Dolf von Gratersbronn.“
Die Frau erschrak. „Aber…ihr seid doch…damals gehenkt worden…“
„Man kann den Körper töten, nicht aber den Geist. Oh, wie ich sehe hast du große Angst, mein Täubchen. Sie ist berechtigt, denn schon in Kürze wirst du die Leben aushauchen.“
Der Geist streckte den Arm aus, seine knochige Hand näherte sich ihrem Gesicht. Die Baronin drehte den Kopf auf die Seite, als könne sie so die Berührung verhindern. Doch schon spürte sie die eiskalten Fingerspitzen über ihre Haut streichen. Angewidert presste sie Lippen und Augen zusammen.
„Du wirst nicht lange leiden. Ich werde in deinen Körper eindringen und deinen Willen ausschalten. Du wirst das tun, was ich will. Mach dich bereit zum Sterben.“
Schon spürte sie, wie der Geist in sie eindrang, spürte, wie ihr Wille mehr und mehr an Kraft verlor und schließlich ganz erlosch.

Als der Baron gegen Mittag durch das Hoftor ritt, kam ihm schon händeringend die Großmagd entgegen gelaufen. Ihr Gesicht war leichenblass, die Augen rotgeweint. Auch jetzt rollten ihr Tränen über die Wangen.
„Oh Herr…oh Herr…etwas Furchtbares ist geschehn. Es ist…so schrecklich.“ Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht. Der Schurke stieg ab und fasste die Magd scheinheilig an den Schultern.
„Maria, was ist denn?“
„Ich vermag es gar nicht auszusprechen. Kommt…seht selbst“ Zeternd und jammernd lief sie voraus. Schon sah der Adlige die Menschentraube am Fuß des Turmes.
„Der Herr kommt.“ Sagte einer und die Bediensteten traten auf die Seite um dem Baron den Blick freizugeben. Da sah er sie liegen, tot mit zerschmetterndem Körper.
„Herr, „ sagte einer verzweifelt.„ Wir konnten es nicht verhindern. Plötzlich stand sie auf dem Sims des obersten Fensters und sprang im nächsten Moment in die Tiefe.“
Er schrie entsetzt auf, obwohl er innerlich triumphierte. Der Geist des Dolf von Gratersbronn hatte Wort gehalten.

Die Tote Baronin lag aufgebahrt in der Familiengruft. Die Formalitäten zur bevorstehenden Beerdigung waren eingeleitet. Es war Abend und der Schurke streckte sich behaglich in seinem Bett aus.
„Bist du zufrieden?“
Der Baron zuckte erschreckt zusammen. Wie hatte er so naiv sein können zu glauben, der Geist lasse sich beschwören und benutzen, um dann wieder für immer in seiner Schattenwelt zu verschwinden? Er stand am Ende des Bettes und grinste den Adligen sarkastisch an.
„Was…willst du?“
„Morden, was sonst. Ich habe heute einem Menschen das Leben genommen, warum nicht auch einem zweiten?“

Trotz der bevorstehenden Beerdigung mussten die Tiere des Hofes versorgt werden. Deshalb war der Knecht unterwegs zum Stall, um diese Arbeit zu verrichten. Entsetzt schrie er auf als er an derselben Stelle, an der die Baronin gelegen hatte, den Baron liegen sah. Eine Magd, die in der Nähe war eilte hinzu und schlug die Hände vors Gesicht. Der Knecht aber sagte mit rauer, leiser Stimme:
„Er hat denselben Weg in den Tod gewählt wie seine Gemahlin. Er ist ihr gefolgt.“
Die Magd nickte weinend. „Das ist wahre Liebe.“

ENDE