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Der Narr

Schwermütig schleppte sich der kleinwüchsige Narr über die Flur. Er war traurig, sein Herz schwer. Und er war einsam, sehr einsam. Er, der es gewohnt war, immer Menschen um sich zu haben. Damals, ja damals war alles anders gewesen. Stets hatte er fröhliche Menschen um sich gehabt. Bei den Bällen des Königs waren die Gäste stets begeistert von seinen Kunststücken und Scherzen.

Aber dann wurde der König krank und starb. Kurz darauf folgt ihm seine Gemahlin. Sein Sohn bestieg den Thron. Von da an war alles anders. Der neue König war das Gegenteil von seinem gutmütigen Vater. Nicht selten quälte und demütigte er seine Untertanen und ergötzte sich an deren Leid.

Und was ihn, den Hofnarren betraf: Seine Kunststücke und Scherze gefielen dem neuen König nicht mehr. Er holte einen anderen Hofnarren auf seine Burg und jagte ihn wie einen räudigen Hund davon. Seitdem vegetierte er in den alten, halb verfallenen Theater außerhalb der Burg vor sich hin.

Ja, er träumte wehmütig von vergangenen Tagen. Bemerkte nicht den Pestilenz artigen Gestank, der von einer großen Jauchelache wenige Meter neben ihm herrührte. Erst das Pferdegetrappel von Richtung der Burg kommend riss ihn aus seinen Gedanken.

Sechs Reiter galoppierten auf ihn zu. Sofort wurde er unruhig. Sein Herz begann stärker zu klopfen, denn er glaubte den König zu erkennen und drei seiner Vasallen, nebst zwei seiner Mätressen.

Gehetzt warf er einen Blick zurück zu seiner Behausung. Am liebsten wäre er zurück gelaufen und hätte sich dort verkrochen wie ein gejagdes Tier. Es war ihm klar, dass sie ihren Schabernack mit ihm treiben wollten. Nein, das war zu weit. Niemals würde er das alte Theater erreichen können, bevor ihn die Reiter eingeholt hatten. Also blieb er stehn.

Schließlich waren sie da. Kurz vor ihm hielten sie ihre Pferde an. Ja, es waren die Vermuteten. Die Furcht des Narren wuchs, denn er wusste, dass der junge König unberechenbar war, wenn er zu viel getrunken hatte. Und er war betrunken. Höhnisch grinste er den Narren aus geröteten Augen an.

„Sieh da, unser Närrlein. Unterwegs zur Burg, wie ich vermute. Um  dort nach Arbeit anzufragen, wie?“

Der König legte seinen Zeigefinger auf den Mund und blickte nach oben, als würde er überlegen.

„Hm, da fällt mir doch tatsächlich etwas ein. Du könntest in den Schweineställen den Schweinen deine Kunststücke vorführen. Das wird die Schweine erheitern und sie werden schneller fett.“

Er lachte lauthals über seinen dummen Scherz und seine Begleiter stimmten mit ein.

„Aber was stinkt denn hier so schrecklich?“, sein Blick ging zu der großen Jauchelache, „ah, von dort her kommt der üble Geruch. Da wollen wir doch gleich dafür sorgen, dass du dich für deine neue Arbeit an Gestank gewöhnst.“

Er nickte spöttisch seinen Leuten zu und sie verstanden. Sie formierten sich mit ihren Pferden zu einem Halbkreis um den vor Angst zitternden armen Wicht. Hinter sich hatte er die stinkende Lache. Und es war ihm klar, was sie vorhatten. Der König schnalzte mit der Zunge und sein Pferd setzte sich langsam in Bewegung. Ebenso seine Begleiter. Der Narr machte ein weinerliches Gesicht und blickte zur Seite, um vielleicht nach dort ausweichen zu können. Aber einer der Reiter schüttelte hämisch grinsend den Kopf und trieb sein Pferd etwas an. Keine Chance für den Narren weg zu kommen. Immer weiter ging er rückwärts, bis er schließlich mit dem Rücken vor der Jauchelache stand. Ein bittender Blick, doch der König lachte nur kalt. Dann hob er den Fuß und trat zu.

„HINEIN MIT DIR!“

Einen Schrei ausstoßend flog der Ärmste nach hinten in die etwa eine Elle tiefe, stinkende Brühe. Langsam rappelte er sich wieder auf, während seine Peiniger lauthals loslachten. Er drehte sich um und stieg auf der Gegenseite langsam aus der Lache. Gut für ihn, das sie seine verzerrte Fratze nicht sahen. Er vermochte kaum seinen Hass zu verbergen. Trotzdem beherrschte er sich und drehte sich um. Schwer atmend blickte er mit gesenktem Kopf nach unten.

„He Närrlein, “ sagte noch immer lachend der König, „du hast soeben sehr belustigt. Doch wir wollen uns noch mehr deiner Kunststücke erfreuen. Erheitere uns weiter, los.“

Der arme Wicht hob langsam den Kopf und blickte seinen König in die Augen. Eine Idee war ihm durch den Kopf geschossen.

„Herr, ich bitte euch, gebt mir drei Tage Zeit. Ich werde euch in meiner Behausung eine Vorstellung bieten, wie ihr sie noch nie saht.“

Der König blickte ihn einen Moment lang erstaunt an, dass er es wagte, ihm einen Vorschlag zu machen. Doch dann grinste er boshaft.

„Guuut…“, sagte er mit einer hohen, fast melodiösen Stimme, „ich gehe auf deine Bitte ein.“ Dann verfinsterte sich seine Miene. Drohend hob er seinen Zeigefinger. „Aber hüte dich mich zu enttäuschen. Dann wird es dir schlimm ergehen. Des Abends in drei Tagen also.“ Mit diesen Worten riss er sein Pferd herum und galoppierte, gefolgt von seinen Begleitern in Richtung Burg davon.

Der Kleinwüchsige blickte ihnen nach. Sein Gesicht wurde zu einer teuflischen Fratze. Er ballte so fest seine Fäuste, dass die Knöchel weiß hervortraten.

„Ja“, knirschte er, „kommt nur, kommt. Ihr werdet ein Schauspiel erleben, wie es noch nie eines gegeben hat!“

Schon einmal hatte er die Mächte der Finsternis beschworen, war aber nie auf deren Forderungen eingegangen. Diesmal würde er es tun. Er wollte nur noch Rache.

RACHE!!!

 

Es gab nur einen Raum in dem verfallenem Theater, der halbwegs bewohnbar war. Eigentlich konnte man in ihm auch nicht mehr wohnen. Kalte, nasse Schimmelwände. Ein rissiger Lehmboden. Karg eingerichtet war der Raum. Ein Strohlager auf dem Boden, eine schmutzige Decke darüber. Eine stinkende Feuerstelle, nahe der Fensteröffnung. Darüber hing an einer rostigen Kette ein verschmutzter Kessel. Ein morscher Tisch, ein wurmstichiger Stuhl. Auf dem Tisch stand eine brennende Kerze, deren flackerndes Licht den Raum nur sehr notdürftig erhellte.

Auf dem Stuhl saß der Narr. Sein Gesicht war böse und entschlossen, was durch den Kerzenschein noch verstärkt wurde.

Ihm gegenüber stand eine finstere Gestalt. Sie war in dem fahlen Licht nur schemenhaft zu erkennen. Lediglich die gelben, bösartigen Augen schimmernden hell.

„Du hast dich also entschlossen?“, fragte der Unheimliche mit leiser, kalter Stimme.

Der Kleinwüchsige ballte die Fäuste. „Ja!“

„Warum?“

„Ich will Rache!“

Die Gestalt lachte kratzig. „Rache, ein wunderbares Wort. Ich liebe es. Dann wollen wir unseren Pakt beschließen.“

Mit diesen Worten schob sich eine mit dunklem Fell überzogene Hand in den Lichtschein der Kerze. Es war keine richtige Hand, eher eine Klaue mit schwarzen, langen Fingernägeln. Am Ringfinger blitzte ein goldener Siegelring. Sie hielt ein bräunliches Pergament, das sie auf den Tisch fallen ließ.

„Unterschreibe mit deinem Blut. Ich aber werde mit meinem Zeichen den Pakt beschließen“. Daraufhin drückte er seinen Ring auf das Pergament. Beizender, nach Schwefel stinkender Rauch stieg auf. Als er seine Klaue zurückzog, hatte sich eine schwarze Dämonenfratze auf das Schriftstück eingebrannt. Wieder erschien die Hand. Diesmal hielt sie eine pechschwarze Feder.

„Nun du.“

Der Narr blickte einen Moment lang zögernd auf die Feder. Er wusste um den Wahnsinn, den er begehen würde. Aber sein Durst nach Rache war stärker. Er nahm die schwarze Feder, stach mit deren Kiel in seinen Arm. Sofort füllte er sich mit Blut. Entschlossen schrieb er seinen Namen auf das Pergament.

 

Das alte Theater war kreisrund angelegt. Mächtige Mauern, die dem Zerfall getrotzt hatten, umschlossen es. Innen war es halbrund in steinernen Stufen, ähnlich den römischen Arenen, angelegt. Die andere Hälfte war früher die Bühne gewesen. Diese war überdacht gewesen, aber das Dach war längst eingestürzt. Nur ein paar mächtige Trägerbalken aus Eiche waren noch da. Ihnen hatten Wind und Wetter nichts anhaben können. An einem der Balken hing ein Seil, welches bis auf den Boden reichte.

Der Narr stand in dem Torbogen, über dem von starken Ketten gehalten eine mächtige, eichene Falltür hing. Er hatte sein Narrengewand aus den früheren Tagen bei Hofe angelegt und wartete auf seine „Gäste.“ Und sie kamen. Es waren dieselben Personen wie vor drei Tagen, an denen er so gedemütigt wurde. Kurz vor dem Tor hielten sie ihre Pferde an, stiegen ab und traten, der König zuerst, ein.

Der Zwergwüchsige machte eine gezierte, steife Verbeugung. Der König aber blickte sich erstaunt um.

„Ich sehe keine Kulissen, Närrlein.“

„Es werden Kulissen da sein, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, euer Hoheit.“ Sagte der Narr mit einem höhnischen Grinsen, was der König aber nicht sehen konnte. „Nehmt bitte Platz, ihr hohen Herrschaften, auf das die Vorführung beginnen kann.“ Dabei machte er mit der Hand eine einladende Geste zu den steinernen Stufen, auf die er einige Decken ausgebreitet hatte. Der König nickte seinen Begleitern zu und setzte sich. Neben ihm seine beiden Mätressen.

Der Kleinwüchsige ging zu dem Seil und hangelte sich geschickt wie ein Äffchen nach oben. Er kletterte auf den Balken und stellte sich breitbeinig auf dessen Längsseite. Dabei stand er so sicher wie auf dem Boden. Als er noch Hofnarr war hatte er auf noch viel schmäleren Untergrund gestanden, ja gar auf einem Seil, wenn er seine Kunststücke vorführte. Dann hob er die Hände und rief: „Der erste Akt beginne!“

Ein lautes, rasselndes Geräusch war zu hören. Die „Gäste“ blickten sich erschreckt um und sahen, wie das schwere Eichentor wie von selbst herunter knallte. Irritiert blickten sie sich an. Der König aber rief drohend:

„Willst du uns einsperren, Narr? Hüte dich, etwas zu tun, das mir missfällt!“

Wieder machte der Kleinwüchsige auf seinem Balken eine Verbeugung, wobei über sein Gesicht für einen kurzen Moment ein sarkastisches Lächeln huschte:

„Ich habe euch ein Schauspiel zugesagt, wie ihr es nie wieder erleben werdet. Und so wird es geschehen.“

Der König erfasste nicht die Zweideutigkeit dieser Worte und schwieg. Der Narr aber erhob erneut seine Hände und rief:

„Es beginne der zweite Akt!“

Sieben baumdicke Feuersäulen fauchten zwei bis drei Meter hoch, bildeten die Eckpunkte eines Siebenecks. Erschreckt fuhren die Frauen von ihren Sitzplätzen auf. Auch die Männer blickten sich irritiert und sorgenvoll an. Die Feuer aber breiteten sich nach links und rechts aus, sodass sie schließlich zusammenwuchsen. Eine brennende, siebeneckige Säule schloss die „Gäste“ ein. Die Frauen begannen angstvoll zu jammern. Auch die Männer beschlich mehr und mehr die Angst. Der König aber merkte sehr schnell, dass sie in der Falle saßen, denn niemanden von ihnen würde es gelingen, irgendwo diese Flammenwand zu durchbrechen. Deshalb hob er die Faust und drohte:

„Du verdammter Narr, beende augenblicklich dieses Schauspiel sonst lasse ich dich in den Kerker werfen!“

Da ging der breitbeinig auf dem Balken stehende Zwergwüchsige in die Hocke. Die Linke zur Faust geballt, mit der Rechten auf den König zeigend. Die Lippen zurückgezogen fletschte er die Zähne wie ein tollwütiges Tier. Der Schein der Flammen gab seinem Gesicht einen teuflischen Ausdruck. Und mit einem Satz schleuderte er dem König seinen ganzen Hass entgegen:

„Du wirst niemanden in den Kerker werfen, du verfluchter Hund von einem König!“

Da schwollen die Zornesadern des Königs an und er packte einen seiner Begleiter bei dem Schultern.

„Hol diesen verdammten Zwergenbastard da runter, los!“

Der nickte, holte seinen Dolch hervor und schleuderte ihn auf den Narren. Der aber machte keinen Anstalten, dem Wurfgeschoss auszuweichen. Das war auch nicht nötig, denn kurz bevor die Klinge in seinen Körper eindringen konnte ging die Waffe in Flammen auf und fiel als glühender Aschregen zu Boden.

„Er ist mit den Mächten der Finsternis im Bunde!“ kreischte eine der Frauen und klammerte sich an ihrem König fest. Der aber stieß sie roh zur Seite. „Lass mich los du dumme Dirne!“ Zu dem Kleinwüchsigen aber wandte er sich mit einem Flehen, denn auch seine Furcht wuchs von Augenblick zu Augenblick:

„Höre, mein Freund. Wenn du uns gehen lässt, werde ich dich fürstlich belohnen.“

Der Narr aber lachte höhnisch: „All dein Reichtum könnte nicht den Hass aufwiegen, den ich für dich im Herzen trage.

„Ihr werdet sterben, hier und in den nächsten Minuten!“

Dann streckte er beide Fäuste nach oben, warf den Kopf in den Nacken und brüllte: „Der letzte Akt beginne!“

„Seht doch!“ schrie eine der beiden Frauen und deutete auf die lodernde Flammenwand. Sechs tanzende Schemen waren plötzlich zu sehen. „Sie kommen!“ Tatsächlich manifestierten sich die Gestalten und sprangen aus dem Feuer. Hässliche kleine, dunkelrote  Wesen mit plumpen, dunkelroten Körpern, spindeldürren Beinen, ebenso dünnen Armen, die in krallenartigen Fingern endeten. Übergroße Dämonenköpfe mit spitzen Ohren. In den hohlen Augenhöhlen glühte es weiß. Ebenso in ihren Rachen, wenn sie ihre Mäuler aufrissen und schrille Laute ausstießen. Die Frauen kreischten panikartig. Eine sank zu Boden und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Auch die Männer brüllten durcheinander, während die kleinen Dämonen irrwitzig um sie herum tanzten.

„Sie kommen näher!“

Tatsächlich tanzten die keifenden Wesen enger und enger um sie herum. Wie eine Schlinge, die sich langsam zuzog. Und der Narr beobachtete von seinem Balken aus mit hasserfüllter Genugtuung das Inferno. Ein Inferno aus einer siebeneckigen, säulenartigen Flammensäule, wahnwitzig schreienden kleinen Monstern und angsterfüllten eingeschlossen Menschen, die sich eng zusammenkauernden. Und er sah viele kleine, gelbe Punkte in der Nacht, die sich von der Burg her näherten, denn von seiner Perspektive aus konnte er über die Mauern sehn. Das mussten Fackeln sein. Vermutlich wusste man auf der Burg, wohin der König geritten war und den Feuerschein inmitten des alten Theaters sah man weithin in der Nacht. Nun schickte man die Schergen aus um dem König zu helfen. Zeit für ihn zu verschwinden.

Er warf noch einen Blick auf die Höllenszenerie, sah wie die kleinen Dämonen nach den schreienden Menschen griffen. Bei dem kleinsten Kontakt standen diese in Flammen. Er aber rannte sicher wie ein Eichkätzchen über den Balken nach innen. Keiner kannte sich hier besser aus als er und so hatte er schnell den Weg nach draußen erreicht. Schnell weiter zum Wald. Irgendwann ließ er sich auf dem Waldboden nieder. Keuchend ging sein Atem. Sein Herz klopfte wild. Langsam kam er zur Ruhe.

Er hatte seine Rache gehabt, aber zu welchem Preis! Er musste wahnsinnig gewesen sein, sich auf diesen Höllenpakt eingelassen zu haben. Aber er hatte den Pakt unterschrieben, mit seinem Blut. Verzweifelt irrte er noch eine Zeitlang durch den Wald. Am nächsten Morgen aber fand ihn ein einsamer Wanderer.

Er hatte sich an einem Baum erhängt.

 

 

Paul Hartmann

 

ENDE