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Ein Streik, der nicht nur alle betrifft sondern auch alle angeht!

Ein Kommentar von Andreas Witte.

Bis zum Montag um 2 Uhr in der Nacht will die GDL einen Streik durchführen. Doch die betroffenen Pendler und auch die allgemeine Öffentlichkeit hält davon nichts. Dabei ist nicht nur ganz Deutschland betroffen, sondern der Streik geht auch ganz Deutschland etwas an.

Der Deutsche kaufe sich für eine Revolution eine Bahnsteigkarte, so duckmäuserisch und unmündig hielt eins Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als „Lenin“, die Deutschen. Und auch das der Wiederspruch der breiten Öffentlichkeit gegen die GDL und nicht gegen die DB erfolgt, bestenfalls eine neuerliche Bestätigung Lenins These über die Deutschen. Denn kaum einer, der sich über den entfallenen Zug empört, bemerkt überhaupt die gesellschaftliche Signifikanz des Streiks.

Fangen wir von vorne an:

2010 kippte dann das Bundesarbeitsgericht höchstrichterlich die Tarifeinheit in Unternehmen. Die Begründung ist bemerkenswert: Die „Tarifeinheit“ ist grundgesetzwidrig.

Jetzt beansprucht die GDL für alle ihre Mitglieder – darunter auch Zugbegleiter und Gastronomie – einen Tarifvertrag auszuhandeln. Und es geht der DB AG eigentlich darum, dass die Tarifeinheit in Ihrem Konzern gewahrt bleibt.

Als Argumente führt das DB Management für eine Tarifeinheit an, dass sonst der soziale Friede unter den Bahnmitarbeitern gefährdet wäre. Oder dass es doch so kompliziert zu verwalten wäre, wenn mehrere Tarifverträge gelten würden. Im Gegensatz der im Grundgesetz garantierten „Koalitionsfreiheit“, also dem Recht sich in Vereinen, Verbänden, Parteien oder Gewerkschaften zu sammeln um seine Rechte und Meinungen zu vertreten, was die GDL für sich in Anspruch nimmt, sind die seitens der DB angeführten Rechtsgüter irrelevant. Damit bleibt also am Ende, dass der Rechtsnachfolger der Bundesbahn, die heute im Besitz des Staates befindliche und privatwirtschaftlich organisierte DB AG offensichtlich das deutsche Grundgesetz nicht akzeptiert. Anders kann man es wohl nicht bezeichnen, wenn das DB Management etwas fordert, dass höchstrichterlich als „grundgesetzwidrig“ eingestuft wurde.

Ob 100 Stunden Streik angesichts dieser Grundlage ausreichen? Eigentlich nicht. Eigentlich bräuchte es politische Maßnahmen, um einen im Staatsbesitz befindlichen Konzern, der sich außerhalb der staatlichen Ordnung wähnt, in diese wieder zurückzuholen.

Und auch die Politik hat reagiert: Aber nicht als Bewahrer der staatlichen Ordnung, was eigentlich die Aufgabe einer Regierung wäre. Sondern mit der Idee von Frau SPD-Arbeitsministerin Nahles und der SPD-Generalsekretärin Fahimi, die Unordnung durch ein Ausnahmegesetz, eine „Lex-Bahnstreik“, wieder herzustellen. Die SPD – ehemals Partei der Gewerkschaften – schlägt nun vor, die Tarifeinheit einfach wieder mit einem Gesetz einzuführen. Das ist zwar grundgesetzwidrig, wie das Bundesarbeitsgericht schon festgestellt hat und würde dann vermutlich vom Verfassungsgericht wieder kassiert, aber Hauptsache man hat mal was gemacht.

Wenn man das auf ein kleines bockiges Kind überträgt (DB), dass sein Zimmer nicht aufräumen will (stur bei der Tarifeinheit bleibt), dann kann eine Mutter (Arbeitsministerin) eigentlich nicht hergehen und sagen: Du Kind bist mir so wichtig, du musst dein Zimmer nicht aufräumen (dich nicht ans Grundgesetz halten). Weil dann die ganzen Zwillinge und Brüder und Schwestern des Kleinen das gleiche für sich auch beanspruchen werden. Folglich räumt keiner mehr sein Zimmer auf – oder staatstragender formuliert: Die SPD hat dann die Koalitionsfreiheit defakto aus dem Grundgesetz gestrichen.

Als Randnotiz bleibt zu erwähnen, dass die SPD sich vielleicht nochmal überlegen sollte, wofür das „S“ im Namen früher mal stand. Es war charaktergebend für das Folgende P und D, die nur noch das „Was“ und „Wo“ beschreiben. Vielleicht sollte die SPD sich ein „A“ anstelle des „S“ in dem Namen geben, denn wenn sich keiner mehr an Gesetze halten muss, weil für jeden sofort ein Ausnahmegesetz geschrieben wird, herrscht plötzlich sowas wie wirtschaftstreue parlamentarische Anarchie.

Und auch den Neid der Journalisten auf die Lokführer kann man in vielen Artikeln nachvollziehen. Liegt doch der Journalismus in einer schweren Krise, wird von Leiharbeitern und Scheinselbstständigen für 7,50€ die Stunde oder weniger erledigt. Bei der Bahn hat dies 2007 eine kleine – wohl inzwischen zu mächtige – Nischengewerkschaft verhindert. Die Intelligenz lässt sich nicht in Cent pro Zeile bezahlen und sie liefert keine sekundenschnellen Texte über Ereignisse. Die Intelligenz hat die großen Verlagshäuser inzwischen verlassen, es wird nicht mehr recherchiert und nicht mehr über die Bedeutung des Recherchierten nachgedacht. Nur noch nachgeplappert und gegenseitig abgeschrieben, was der DB-Personalchef Weber über GDL und EVG gesagt hat und daraus ein Bild über einen Machtkampf zwischen EVG und GDL gezeichnet. Quer durch alle Medien, die öffentlich-rechtlichen mit eingeschlossen.

Man kann ohne zu Übertreiben sagen, die Antwort der DB an die GDL ist eine echte Staatskrise, vor allem wenn das dem Staat gehörende Unternehmen DB AG die in dessen Gesetzen der Bevölkerung garantierten Grundrechte pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls nicht mehr respektieren will. Und die Reaktion der Lokführer mit 100 Stunden Streik ist geradezu winzig harmlos, was das Ausmaß der Staatskrise angeht. Wir sind nicht nur alle Betroffen, es geht uns alle auch etwas an. Sonst akzeptiert in Zukunft kein Konzern mehr die im Grundgesetz dem Volk garantierten Grundrechte und Freiheiten.

Meinung des Autors gibt nicht zwangsweise die Meinung der Redaktion wieder.