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Dr. Vandana Shiva im Interview: Über die Gefahren der Agro-Gentechnik

Im Rahmen des Saatgut-Festivals, das heute in Iphofen stattfand, traf MeinKitzingen.de Frau Dr. Vandana Shiva zu einem Interview. Frau Dr. Shiva, geboren 1952 in Dehradun, Indien, ist promovierte Quantenphysikerin und engagiert sich seit Jahren in den Bereichen Artenvielfalt im Saatgut, Umweltschutz und Ökofeminismus. 

The interview in English [PDF, 408 KB]

Frau Dr. Shiva, wie haben Sie darauf reagiert, als Sie hörten, dass dem Genmais 1507 nach der Abstimmung am Dienstag nichts mehr im Wege steht, in der EU zugelassen zu werden?

Ich war nicht überrascht. Ich weiß, wie sehr die Gentechnik-Industrie versucht, ihren Willen durchzusetzen. Es ist ihr Versuch, Verbote und Moratorien zu untergraben. Was man jetzt sieht, ist der Versuch der Gentechnik-Industrie, die Prozesse der Demokratie zu korrumpieren.

Ich bin aber sehr enttäuscht darüber, dass Deutschland sich seiner Stimme enthalten hat. Deutschland stand jahrelang an der Spitze der GVO[1]-freien Bewegung. Das letzte Mal, als ich in der Gegend war, sprach ich vor bayrischen Bauern. Erwartet wurden 300 Bauern, aber es kamen mehr als 5000. Danach sah sich die Regierung gezwungen, MON810[2] zu verbieten.

Wo immer es Demokratie gibt, gibt es auch ein Nein. Mehr Länder als je zuvor haben sich mit einem Nein geäußert. Und Deutschland, das Land, das dieses Nein anführen sollte, enthält sich seiner Stimme. Ich denke, die Deutschen müssen sich Sorgen darüber machen, wie ihre demokratischen Institutionen zersetzt worden sind.

 

Was würden Sie also der deutschen Regierung sagen?

Der deutschen Regierung würde ich sagen: Schämt euch!

In einer Zeit, in der jede verantwortungsbewusste Regierung und jeder verantwortungsbewusste Bürger dazu aufgefordert ist, die Artenvielfalt und den Planeten zu schützen, wenn man dann für Konzerne arbeitet, die den Planeten zerstören, ist das beschämend.

 

Was sind denn nun eigentlich die großen Risiken und Gefahren der gentechnisch veränderten Organismen?

Die erste große Gefahr sind die Monopole. Das ist eine politische Gefahr. Wenn das erste Glied der Saatgutkette von fünf Konzernen kontrolliert wird, bedeutet das, dass der grundlegendste Teil, nämlich unser Essen, kontrolliert wird. Das ist eine Diktatur.

 

Also Kontrolle durch Nahrungsmittel?

Ja. Während des Vietnamkrieges sagte Henry Kissinger: „Wir müssen das Essen kontrollieren. Wir müssen Nahrung wie eine Waffe einsetzen. Denn wenn wir Nahrung wie eine Waffe verwenden, dann kontrollieren wir die Menschen.“ Ich selbst würde noch weiter gehen: die Kontrolle über Saatgut bedeutet eine Kontrolle über alles Leben, nicht nur Menschen. Es handelt sich hier also um die gröbste Verletzung der Demokratie, die man sich nur vorstellen kann.

 

Gibt es noch andere Risiken im Zusammenhang mit der Gentechnik?

Auch die Artenvielfalt wird dadurch bedroht. Wie wir gesehen haben, gibt es nur vier Feldfrüchte, die gentechnisch verändert wurden. Aber für jeden Hektar, der mit GVO bepflanzt wird, gehen Lizenzgebühren an die Hersteller und so drängen diese auf mehr und mehr GVO auf dem Markt. Das schützt die Artenvielfalt nicht. Es zerstört sie.

Die dritte große Gefahr besteht darin, dass wir die Schäden kennen. Aber um mehr GVO auf den Markt zu bringen, werden Lügen erzählt. Ich sehe das als Verschmutzung der Gedanken an. Und zwar durch den Mythos, dass ohne GVO die Welt an Hunger zu Grunde gehen wird. GVO produzieren nicht mehr. GVO tragen nicht zu höheren Ernteerträgen bei. Wir haben für Navdanya einen Bericht zusammengestellt, der auch auf unserer Webseite zu finden ist. Der Bericht heißt „The GMO Emperor has no Clothes“ [frei auf Deutsch: Des GVO-Kaisers neue Kleider]. Im Märchen spazierte der Kaiser nackt herum und jedem Menschen wurde gesagt, dass er dumm sei, wenn er die Kleider nicht sehen könne. Niemand wollte dumm erscheinen und klatschte für den nackten Kaiser, bis ein Kind, das nicht so tun musste, als sei es intelligent, genau das sagte, was die anderen Menschen nicht zugeben wollten. Wir müssen jetzt dieses Kind sein, das die Wahrheit ausspricht!

Die vierte Gefahr liegt in der Gefahr für unsere Gesundheit. Die angebliche Sicherheit von GVO wird von den Herstellern fabriziert, mit der gleichen totalitären Einstellung, die dazu führt, dass Gesetze verabschiedet werden, die Bauern daran hindern, die gleiche Artenvielfalt anzubauen, wie wir sie hier im Rahmen des Festivals sehen. Während aber das Votum für den Pioneer-Mais (1507) eine schlechte Nachricht ist, haben wir auch gute Nachrichten. Ebenfalls am Dienstag wurde nämlich die EU-Saatgutverordnung zurückgewiesen, die diese Artenvielfalt illegal gemacht hätte.

 

Was können Verbraucher nun machen?

Die Verbraucher können ein Teil der Bewegung zum Schutz des Saatguts und zur Erhaltung der Artenvielfalt werden.

 

Wie können Verbraucher aber bewusst entscheiden, keine gentechnisch veränderte Nahrung zu sich zu nehmen, wenn es keine Kennzeichnungspflicht für mit GVO-gefütterte Tiere bzw. Fleisch gibt?

Ich weiß, wenn Staaten die Interessen und Freiheiten ihrer Bürger nicht schützen, müssen die Bürger tätig werden und diese Freiheiten selbst schützen. Am besten kann man GVO umgehen, indem man Bio-Bauernhöfe ausfindig macht, die GVO-freie Lebensmittel produzieren. Es gibt mittlerweile genug Bauernhöfe mit Freilandhaltung, es gibt genügend Saatgut-erhaltende Betriebe. Das Schöne an Artenvielfalt ist ja: je mehr man davon isst, desto mehr gibt es sie.

Meiner Meinung nach ist es also an der Zeit, dass die Verbraucher Nahrungsdemokratie leben. Und diese kann dadurch gelebt werden, dass man eben die Bauern aufsucht, die Saatgut erhalten, die GVO-freie Feldfrüchte und Tiere nutzen, die uns eine Garantie für wirklich sichere und gute Lebensmittel sein können.

Wir werden uns entweder in den Händen der großen Konzerne wieder finden oder wir werden uns unsere Freiheit selbst erschaffen, indem wir eine Nahrungsmittelgemeinschaft aufbauen.

Vielen herzlichen Dank, Frau Dr. Shiva, für das Interview.


[1] GVO = gentechnisch veränderte Organismen

[2] Transgene (also gentechnisch veränderte) Maislinie der US-Firma Monsanto. In der EU zugelassen, aber mittlerweile u.a. in Deutschland mit einem Anbauverbot belegt.