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Rückkehr des Katzenmanns

Es ist nicht jedermanns Sache in der Zeit um Mitternacht spazieren zu gehn. Johannes schon. Er genoss das Alleinsein mit sich selbst. Vor allen Dingen begegnete man nicht ständig irgendwelchen Leuten, die glaubten, sich ewig unterhalten zu müssen.

Heute war wieder so eine Nacht. Der Himmel war Sternenklar, die Luft warm und schmeckte nach Sommer. Die Tiere der Nacht taten mit ihrem Zirpen und Summen das ihrige  zu einer angenehmen Stimmung bei.

Johannes ging gemessenen Schrittes am Mainufer entlang in Richtung Anlegeplatz der Dettelbacher Mainfähre. Immer wieder blickte er hinauf zum Sternenhimmel oder auf den Main, dessen fliesende Wasseroberfläche immer wieder, sich ständig verändernde, Lichteffekte reflektierte.

Und noch jemand hatte wohl die gleiche Idee gehabt. An besagter Anlegestelle stand ein Mann nahe der Böschung und starrte auf den Main. Als er Johannes Schritte hörte drehte er sich kurz um. Obwohl er eigentlich keine Unterhaltung wollte, sprach er den Fremden an:

„Na, auch den schönen Abend genießen?“

Der antwortete nicht auf die Frage, sondern sagte leise: „Hier ist es geschehen, vor vielen Jahren.“

Johannes schaute ihn irritiert an. „Wieso, was meinen sie?“

Der Fremde wandte sich ihm zu. Sein Gesicht schien bleich im fahlen Schein des Mondlichts. Er lächelte kalt. „Haben sie noch nie von der Legende des Katzenmannes gehört?“

„Doch, schon. Aber wer glaubt schon an solche Geschichten?“

„Man sagt, an jeder Legende ist etwas Wahres“, sagte der Fremde orakelhaft.“

„Egal, der Abend ist herrlich, mit oder ohne Katzenmann.“

„Heute wäre wieder die richtige Nacht für ihn“,  meinte der Seltsame und starrt hinauf zum Vollmond.

„Soll er kommen, dann verwandle ich mich ich einen Hund und jage ihn den Baum hinauf.“ Johannes lachte über seinen Witz, doch der Fremde reagierte nicht darauf. Achselzuckend trat Johannes ein paar Schritte nach vorn an den Rand der Böschung. Behaglich sog er die Nachtluft in die Lungen und stieß sie hörbar wieder aus, als er ein leises Fauchen hinter sich hörte. Irritiert  drehte er sich um und riss in erschreckten Erstaunen weit die Augen auf.

Vor ihm stand der seltsame Fremde. Er hatte beide Arme erhoben und den Kopf in den Nacken gelegt. Die Augen waren geschlossen und er badete sein Gesicht regelrecht im Vollmond. Seine Haut wurde dunkler, was daran lag, das sich leichter Flaum bildete, der rasch dichter und zu einem Fell wurde. Die Ohren wurden spitz. Aus den Ärmeln des Hemdes ragten behaarte Pranken. Dann senkte er den Kopf und starrte Johannes aus runden, gelben Raubtieraugen feindselig an. Er zog die Oberlippen hoch und stieß durch seine spitzen Zähne ein hasserfülltes Fauchen aus.

Johannes Herz klopfte bis zum Hals. Er konnte nicht klar denken und die Situation einordnen. Angst peitschte in ihm hoch. Dann sah er die Pranke des Katzenmannes auf sich zurasen. Scharfe Krallen pflügten über seine Wange und hinterließen tiefe Wunden. Vom plötzlich starken Schmerz erfüllt schrie der Getroffene auf. Panikartig schlug er unkontrolliert um sich. Mit der Faust traf er den behaarten Kopf des schrecklichen Wesens. Der Schlag holte den Katzenmann von den Beinen. Sich mehrmals überschlagend rollte er, wütend tierische Laute ausstoßend den Abhang hinab und knallte mit dem Schädel auf einen Stein. Halb benommen wollte er sich wieder aufrichten, aber er schaffte es nicht, sondern sackte zusammen.

Johannes aber rannte, von Furcht getrieben, so schnell er konnte weg. Nur fort, fort von diesem Verrückten. Er wohnte in der Nähe und so erreichte er bald sein Haus. Keuchend holte er mit zitternden Fingern den Schlüssel aus der Tasche. Gehetzt blickte er sich um, aber zu seiner Erleichterung war ihm die Bestie nicht gefolgt. Hastig schloss er auf und knallte die Tür hinter sich ins Schloss.

Tief atmete er durch. Die Wunde an seiner Wange schmerzte höllisch. Er tastete mit den Fingern danach und spürte Feuchtigkeit. Blut. Mehr wankend als gehend stieg er die Treppe hinauf und ging in sein Schlafzimmer, wo er sich matt auf sein Bett fallen ließ.

Die Polizei, er musste die Polizei rufen. Das konnte ja wohl nicht sein, dass irgendein Irrer sich für einen Mutanten hielt und harmlose Leute angriff und verletzte. Wer weiß, ob er nicht noch schlimmeres vorhatte. Aber Johannes konnte sein Vorhaben nicht mehr ausführen. Alles um ihn herum schien sich zu drehn. Und so aufgewühlt er auch war drückte ihn eine plötzlich aufkommende Müdigkeit in einen bleiernen Schlaf.

Aber er schlief sehr schlecht in dieser Nacht. Immer wieder suchten ihn Alpträume heim. Er sah das hässliche Gesicht dieses unheimlichen Wesens, sah die Krallenpranke auf sich zurasen, wurde verfolgt von dieser Kreatur, ohne entkommen zu können.

Als er am nächsten Morgen erwachte fühlte er sich wie durch den Wolf gedreht. Stöhnend stemmte er sich hoch. Der Morgen graute bereits, sodass er die roten Flecken auf seinem Bettlaken erkennen konnte. Eingetrocknetes Blut von seiner Wunde. Mit den Fingerspitzen strich er über seine Wange. Auch hier spürte er die Reste von verharschtem Blut. Es war also Wirklichkeit gewesen.

Schwer atmend stand er auf. Die Polizei, er musste die Polizei rufen. Aber erst wollte er sich frisch machen. Licht brauchte er keines, da es inzwischen langsam hell wurde. Müde schleppte er sich ins Bad. Plötzlich starrte er auf seine Hände. Natürlich waren sie noch wie vorher, was sonst? Manchmal ging die Phantasie mit einem durch. Das kam von diesen Schauergeschichten. Wirst du von einem Vampir gebissen, verwandelst du dich auch in einen solchen. Blödsinn.

Johann stützte sich auf sein Waschbecken und atmete noch einmal tief durch. Dann hob er den Kopf.

Er erstarrte vor Entsetzen. Sein Magen drehte sich um und er hatte das Gefühl, als würde jemand mit eisigen Fingern über sein Rückgrat streichen.

Seine Ohren waren nicht spitzer geworden, auch hatte sich sein Gesicht nicht mit dunklem Fell überzogen. Es waren die Augen, die ihm von seinem Spiegelbild entgegenstarrten. Rund und gelb.

KATZENAUGEN!

 

ENDE

Paul Hartmann