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Sind wir wieder in den 1990ern angekommen?

Denjenigen unter uns, die alt genug sind, um sich an die 1990er zu erinnern, werden Ortsnamen wie Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Hoyerswerda noch in unschöner (und das ist fast ein Euphemismus) Erinnerung im Gedächtnis geblieben sein. Die Zeit damals und diese und noch andere Orte sind verbunden mit brutalen Übergriffen auf und Morden an Mitmenschen, die aus ihren Heimatländern aus Furcht um ihr eigenes Leben und um in Sicherheit sein zu können nach Deutschland gekommen waren. Um hier – in Deutschland – von massiver rechter Gewalt bedroht zu werden und, im schlimmsten Fall, von den von rechtsextremen Kriminellen gelegten Bränden ermordet zu werden. Mit der Tragödie um den NSU, der jahrelang mordend durch Deutschland ziehen konnte, bedingt u.a. durch Totalversagen unserer Behörden und unseres Verfassungs„schutzes“, sollte auch jede*r vertraut sein.

So. Und heute? Haben „wir“ irgendetwas aus diesen Verbrechen an der Menschheit gelernt? Sind „wir“ weiter gekommen und pflegen nun eine Willkommenskultur, die Mitmenschen, die vor Kriegen, Folter, Hunger aus ihren eigenen Ländern fliehen, mit offenen Armen begrüßt?

Die lieben Medien
Wenn ich mir die Nachrichten der letzten Wochen und Monate ansehe, möchte ich das bezweifeln. Es wird gehetzt, natürlich gegen Flüchtlinge, und in einschlägigen Medien lese ich von „Flüchtlingswellen“ und einer „Flüchtlingsflut“, die Tsunami-gleich Deutschland überrollen werden und in ihrer Konsequenz also Deutschland platt machen werden. Menschen werden Naturkatastrophen gleichgesetzt. Über die Absurdität, gar Menschenverachtung, dieser Bildsprache könnte man, also wir alle, mal nachdenken. Ebenso könnten wir mal reflektieren, warum denn unsere Mitmenschen aus Syrien, Somalia, Afghanistan, dem Sudan und dem Kongo (von dort kommen momentan die meisten Flüchtlinge) sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Die westliche Welt, also auch Deutschland, trägt u.a. seit Jahrhunderten (Stichwort: Kolonialismus) dazu bei, dass Menschen (und Länder) im Trikont ausgebeutet werden, sich wirtschaftlich nicht  „erfolgreich“ entwickeln konnten und können, weil sich der Westen auf ihre Kosten bereichert hat. Weiterhin sollten wir nicht vergessen, dass Kriege in diesen Ländern direkt und auch indirekt vom Westen initiiert, vorangetrieben, zumindest aber nicht verhindert wurden. Der Westen kann sich nicht länger seiner Verantwortung für (und Mitschuld an) internationalen Krisen entziehen.

Und in der Realität?
Dann wird geschrieen und geschrieben, dass die meisten Flüchtlinge nach Deutschland kommen und dass das „Boot jetzt doch nun wirklich mal voll sei“. „Das wird man ja noch sagen dürfen (TM)“. Die konkreten Zahlen (in Relation zur Größe der Bevölkerung des jeweiligen Landes gesehen):

2013 stand Deutschland an genau 7. Stelle, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft. Und zwar nach Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Ungarn und Belgien. In absoluten Zahlen mag es stimmen, dass sich die meisten Flüchtlinge um einen Aufenthalt in Deutschland bemühen. Aber erstens werden nicht alle hierbleiben dürfen (da frage ich schon: warum eigentlich nicht, wo „wir“ doch so reich sind und es „Deutschland so gut geht“?) und zweitens müssen diese Zahlen in Relation zur Gesamtbevölkerung gesehen werden!

Brände in Hannover und Nürnberg
Die letzten beiden Tage haben mir vollends den Rest gegeben. Ich erfuhr, dass das Flüchtlingscamp in Hannover, das im Mai 2014 startete, um auf die Situation von (sudanesischen) Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam zu machen, in Brand stand – die Ermittler gehen mittlerweile von „fahrlässiger oder vorsätzlicher Brandstiftung“ aus. Und ich habe erst heute gelesen, dass drei geplante Flüchtlingsunterkünfte in Vorra, in der Nähe von Nürnberg, angezündet und mit Hakenkreuzen und anderen fremdenfeindlichen Schmierereien versehen wurden.

Warum?
Ich frage mich verzweifelt: was sind das für hasserfüllte, neiderfüllte, missgünstige und menschenverachtende Wesen, die zu solchen Taten fähig sind? Die es in Kauf nehmen, dass Menschenleben durch ihre Taten ausgelöscht werden. Die es nicht schaffen, nachzudenken, warum Flüchtlinge zu uns kommen (und das ganz sicher nicht freiwillig) und wie sie es selbst finden würden, wenn sie aus Not und Angst ihre eigene Heimat verlassen müssten und dann im neuen Land mit so einem Hass zu kämpfen hätten. Welche Arroganz, welcher egoistische Anspruch a la „Ich verdiene alles Gute und sonst keine*r“ und welch schiere Dummheit muss sich in einem Menschen breit gemacht haben, dass er (oder sie) zu solchen Taten fähig ist?

Manche möchten jetzt sicher anbringen, dass Brandstifter (im eigentlichen und übertragenen Sinn) vielleicht wirkliche Sorgen und Ängste haben, die sie nur durch ihre Taten ausdrücken können, weil ihnen sonst keine*r zuhört, aber ehrlich gesagt hören meine Empathie und Geduld wirklich da auf, wo Menschen anderen Menschen schaden, sie anzünden und sogar ermorden wollen, weil die Ethnie, die Religion oder sonstwas nicht ins rechte Weltbild passt! Das ist in letzter Instanz dann einfach nur menschenverachtend und dumm!

Tag der Menschenrechte
Übrigens war diesen Mittwoch, am 10. Dezember 2014, der internationale Tag der Menschenrechte. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde 1948 von den Vereinten Nationen beschlossen, mit den Gräueltaten des Dritten Reiches und des zweiten Weltkriegs im Hinterkopf.

Darin heißt es in Artikel 1:

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

 
Und in Artikel 3:

 „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

Und in der Woche der Menschenrechte, am Tag der Menschenrechte, brannte es mal wieder in Deutschland.

Und zu guter Letzt ein paar persönliche Worte an die Mitmenschen im Kitzinger Landkreis:
Wir von meinkitzingen hoffen inständig und wollen auch fest daran glauben, dass bei uns Flüchtlinge willkommen sind und wir alle zusammen arbeiten werden, damit (kriegs)traumatisierte Menschen aus fremden Ländern sich hier wohl fühlen können. Treten wir in einen Dialog mit unseren geflüchteten Mitmenschen, bringen wir das Einfühlungsvermögen und das Mitgefühl auf, uns auch in deren schwieriges Leben zu versetzen, lernen wir uns gegenseitig kennen und unterstützen wir uns gemeinsam, auch und im besonderen, wenn es darum geht, bei unseren deutschen Mitmenschen eventuell noch vorhandene Vorurteile abzubauen!