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„Unterfranken wäre tot“ – Gespräch mit Kerstin Celina

 

Am gestrigen Dienstag, 11.03.2014, luden die Grünen im Bayerischen Landtag interessierte Medienvertreter zu einer Plakataktion in der Jahnstraße in Kitzingen ein. Mit dieser Plakataktion soll an den Super-GAU von Fukushima im Jahr 2011 erinnert und darauf aufmerksam gemacht werden, warum der Ausstieg aus der Atomkraft und die Energiewende das Wichtigste sind, das die Politik anpacken muss.

Angela Hufnagel, Dr. Hans Martin Hoffmann, Kerstin Celina, Chrita Büttner, Hans Plate, Oliver Schlägl
Angela Hufnagel, Dr. Hans Martin Hoffmann, Kerstin Celina, Chrita Büttner, Hans Plate, Oliver Schlägl

MeinKitzingen.de war vor Ort und führte ein Gespräch mit der Landtagsabgeordneten der Grünen, Kerstin Celina, über den Atomausstieg, die Energiewende und welche Auswirkungen ein Unfall im AKW Grafenrheinfeld für Unterfranken haben könnte.

Frau Celina, Sie sind heute aus Kürnach nach Kitzingen gekommen, um mit der Plakataktion den Atomunfall 2011 im japanischen Fukushima wieder ins Gedächtnis der Menschen zu rufen. Aus welchem Grund wurde gerade Kitzingen für diese Aktion ausgewählt?

Das Thema Atomkraft ist in Kitzingen ja absolut wichtig, weil die Nähe zu Grafenrheinfeld da ist. Außerdem möchte ich als unterfränkische Abgeordnete nicht nur im Landkreis Würzburg präsent sein, sondern überall.

Sie sprechen mit Grafenrheinfeld ein nahegelegenes AKW an.

Vor drei Jahren, als die Montagsspaziergänge nach Fukushima auch in Ochsenfurt stattfanden, habe ich dort eine Rede gehalten und habe mir als Thema damals ausgesucht, wie der Landkreis Würzburg aussehen würde, wenn in Grafenrheinfeld etwas passieren würde. Wir sind nah dran an dieser damaligen 30-km-Grenze. Es ist ja nicht nur so, dass die unmittelbaren Folgen für Gesundheit und Leben relevant sind, sondern Unterfranken tot wäre. Es würde kein Mitarbeiter eines großen Unternehmens mehr nach Würzburg ans Werk wechseln. Wer würde sein Kind noch an die Uni Würzburg schicken, wenn er sein Kind nach Hamburg schicken kann? Ich glaube, vielen Menschen ist nicht bewusst, dass die Heimat verloren geht, wenn wir einen Unfall haben. Der Unfall muss noch nicht einmal die größte Stufe erreichen. Es genügt, wenn der Rest von Deutschland glaubt, dass hier zu leben nicht sicher ist. Dann zieht keiner mehr her, dann haben wir keine Familien mehr, die sich hier ansiedeln, weit um Grafenrheinfeld herum. Diesen Verlust von Heimat, den man in einem engbesiedelten Land wie Deutschland nicht einfach ausgleichen kann, finde ich tragisch.  Der ist vielen gar nicht mehr so bewusst. Ich hatte mir damals für die Rede auch überlegt, wo ich selbst denn hingehen würde, wenn in Grafenrheinfeld etwas passiert. In welches Land würde ich denn gehen? Welche Sprache spreche ich gut genug, um meinen Beruf noch auszuüben? Wo würden meine Kinder sich wohlfühlen? Das ist etwas, worüber viele, wie ich finde, nicht genug nachdenken. Das sollte man drei Jahre nach Fukushima bedenken und eigentlich jeden Tag froh sein, wenn nichts passiert.

Das ist eines der großen Probleme, mit dem sich ca. 150.000 Menschen in Japan auch drei Jahre nach der Katastrophe konfrontiert sehen. Viele leben noch immer in Notunterkünften.

Ja, genau. Die Heimat ist weg…

Horst Seehofer scheint sich jetzt gegen die Stromtrasse zu stellen. Es könnte also durchaus der Eindruck entstehen, dass eine Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs doch in Betracht gezogen werden wird.

Die Befürchtung, dass die Forderung nach einer Verlängerung der Atomkraftwerke in den nächsten ein bis zwei Jahren massiv steigen wird, habe ich auch. Ich vermute, dass Grafenrheinfeld noch abgeschaltet werden wird. Aber ich sehe danach mit Gundremmingen ganz große Probleme, ob wir das noch abschalten können, weil schlicht und einfach kein Plan existiert, wie wir danach die Stromlücke decken wollen.

Wir haben in Bayern im Augenblick die Situation, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien von der Regierung massiv gebremst wird. Die 10H-Regelung, die natürlich die Vollbremsung in die Energiewende bringt, ist im Augenblick rechtswidrig. Sie ist noch nicht mal beschlossen, wird aber umgesetzt, als wenn sie schon beschlossen wäre.

Gleichzeitig findet die Diskussion um die Stromtrassen statt. Ich vermute, dass die Diskussion nach der Wahl ganz anders aussehen wird als vor der Wahl, weil der Ministerpräsident damit im Augenblick ein populistisches Manöver durchführt.

Fakt ist: Wir haben weder einen Master-Plan, wie wir mit der Stromlücke umgehen wollen, noch ist zu erkennen, dass überhaupt ein Wille besteht, den Plan in Angriff zu nehmen. Fukushima ist jetzt drei Jahre her und es ist nichts da. Außer, dass das behindert wird, was bei den erneuerbaren Energien versucht wurde, anzufangen, und dass der Entschluss zu den Stromtrassen schon wieder umgekehrt wird. Ich weiß nicht, wie wir die Stromlücke schließen sollen, wenn nicht sofort etwas passiert.

Wir Grünen setzen uns im Landtag natürlich massiv dafür ein, dass sich etwas bewegt. Wir hatten vor Weihnachten einen Antrag im Plenum, dem auch mehrere CSUler zugestimmt haben. Da ging es darum, die 10H-Regelung, die noch nicht mal existiert, nicht anzuwenden, sondern von der geltenden Rechtslage Gebrauch zu machen. Einige ehemalige Landräte der CSU, insbesondere aus Mittelfranken, hatten mit unserem grünen Antrag gestimmt. Das war bisher überhaupt noch nicht der Fall gewesen. Es ist also klar, dass dieser Rechtsbruch auch innerhalb der CSU umstritten ist. Ich hoffe, dass sich nach der Wahl die Wogen insofern glätten, dass dann die Energiewende von unten wieder eine Chance bekommt, auch in der CSU nach oben zu dringen.

Sie meinen also, dass der Ökostrom im Moment nicht den ganzen Bedarf für Deutschland decken kann.

Nicht, wenn wir beim Ausbau eine Vollbremsung reinlegen. Wir müssen den Ausbau jetzt forcieren und viele andere Technologien mit nutzen. Die Erzeugung des Ökostroms allein ist aber nicht das Thema. Wir müssen den Strom zeitgleich zu jeder Jahreszeit überall hinbringen. Das geht entweder mit Trassen: Ich kann Windstrom aus dem Norden nach Süden bringen und Solarstrom aus dem Süden nach Norden. Oder mit der Entwicklung von Speichertechnologien: Es gibt interessante Ansätze von Biokohle über Batterien. Wir müssen aber in die Gänge kommen und diese anderen Technologien auch entwickeln. Da ist seit drei Jahren absolut nichts passiert.

Abgesehen von den von Ihnen eben genannten Problemen könnte man als Normalbürger auch die Vermutung bekommen, dass die Atomlobby in Deutschland stärker ist als bisher angenommen.

Nicht die Atomlobby, sondern die großen Energieversorger, die natürlich einen Großteil ihrer Gewinne aus Atomstrom ziehen. Solange die großen Energieversorger den Markt dominieren, wird sich nichts tun. Aber durch die Energiewende, die wir bis jetzt schon gesehen haben, durch die vielen dezentralen Solaranlagen und Windräder, durch die Bürgergenossenschaften hat sich schon so viel getan, dass die Pfründe, die vorher in der Energiewirtschaft als Wirtschaftsbereich da waren, wegfließen. Und dagegen wehrt sich die etablierte Industrie der Stromkonzerne. Was ich in dem Zusammenhang auch interessant finde, ist das Freihandelsabkommen TTIP. Vielen denken da nur an Chlorhähnchen. Aber der wirklich spannende Teil sind die Schiedsgerichte. Bei den Schiedsgerichten ist es so, dass Vattenfall gegen den Ausstieg aus der Atomkraft klagen wird. RWE und e.on auch. RWE und e.on müssen allerdings vor deutschen Gerichten klagen. Vattenfall kann vor einem Schiedsgericht klagen, das sich außerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit befindet. Wenn wir Pech haben, zahlt der deutsche Steuerzahler Milliarden an Vattenfall.

Vattenfall verklagt die Bundesregierung im Moment ja schon …

Ja, genau. Das ist es, was wir als deutscher Staat nicht hinnehmen können. Und das zeigt auch, wie groß die Macht dieses Industriebereichs ist, der jahrzehntelang nicht angefochten wurde. Durch die Revolution von unten ist aber schon so viel passiert, dass die Panik, die letzten Felle könnten davon schwimmen, groß sein wird. Und daher glaube ich, dass der Widerstand extrem groß wird.

Vielen Dank fuer das Interview, Frau Celina.