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Der Pfähler

Ein Schauergeschichte von Paul Hartmann

 

Mitternacht.

Eine bleierne Totenstille lag über dem kleinen Friedhof. Selbst die Tiere der Nacht schwiegen, denn sie spürten das Böse, das hier darauf lauerte aufzustehn. Selbst der Wind regte sich nicht.

Es war still. Niemand war da…bis auf einen!

Leise schlich die schwarz gekleidete Gestalt der Friedhofsmauer entlang. Gebückt war seine Haltung und immer wieder blieb er stehn. Lauschte, witterte wie ein wildes Tier. Der Vollmond ließ sein finsteres Gesicht aschfahl erscheinen. Seine dunklen Augen waren überall, er wollte nicht überrascht werden.

Denn er war gekommen um zu pfählen. In der Rechten hielt er einen Holzhammer, in der Linken einen vorne zugespitzten Eichenpfahl.

Der Pfähler blickte zur Kirchhofsmauer empor. Leise legte er sein „Werkzeug“ hinauf, dann zog er sich hoch. Geschmeidig wie eine Spinne kletterte er hinauf. Zusammengekauert blieb er hocken. Seine Blicke schweiften über den von Nebelschwaden überzogenen Friedhof. Als er die Kreuze und Grabsteine sah verzerrte sich sein Gesicht. Er hasste Kreuze. Dann aber suchten seine Augen die Leichenhalle, die drohend und schaurig am Rand der Mauer stand.

Ein grimmiges Lächeln huschte über die blutleeren Lippen des Pfählers. Dort lag in einem Sarg der Leichnam eines jungen Mädchens. Man hatte sie vorgestern im Wald gefunden. Blutleer und mit zwei Bisswunden am Hals. Angst ging um bei den Dorfbewohnern

Er hatte keine Angst, aber wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Die Saat des Bösen war gesät, bald würde sie aufgehn. Sie würde als Untote aufstehn, und des Nachts ihr Unwesen zu treiben. Immer wieder würde sie nach Opfern suchen, um sich an deren Blut zu laben.

Das wollte er verhindern. Er musste pfählen!

Er nahm Pfahl und Hammer wieder an sich und sprang mit einem Satz von der Mauer in das Innere des Friedhofs. Wie eine Katze landete er auf allen Vieren. Wieder blickte er sich lauernd um. Stille.

Totenstille!

Im Schutz der Mauer schlich er weiter. Seine Schritte waren kaum zu hören auf dem feinen Kies. Endlich hatte er die Leichenhalle erreicht. Seine kräftige Rechte drückte langsam die Klinke nach unten.

Verschlossen!

Der Pfähler grinste böse. Seine Augen verengten sich und plötzlich schnappte das Schloss mit einem Klacken auf. Der Pfähler drückte die Tür langsam auf. Knarrend öffnete sie sich.

Sein Blick fiel in den Raum, wo der dunkelbraune Sarg stand. Blumen lagen auf ihm, die sich zu bewegen schienen. Doch dies war eine Täuschung, hervorgerufen durch die beiden in Messingständern sitzenden Kerzen, deren Schein durch den Luftzug der offenen Tür flackerten.

Leise ging er hinein, kalt lächelnd den Sarg anstarrend. Darin lag sie, ein junges, von einem Vampierbiss infiziertes Mädchen, das gerade dabei war sich zu einer schrecklichen Untoten zu verändern.

Neben dem Sarg stand ein kleines Tischchen. Darauf legte er Hammer und Eichenpfahl. Langsam näherte er sich dem Sarg. Jeder andere hätte laut und angstvoll geatmet. Er nicht. Atmete er überhaupt?

Vor dem Sarg blieb er stehn. Achtlos fegte er die Blumen von der Totenkiste. Mit geschickten Fingern nahm er den Sargdeckel ab und stellte ihn an die Wand.

Da lag sie. Jung, unschuldig und ausgeblutet. Ein wachsbleiches Gesicht, umrahmt von golden schimmernden Haaren. Das Gesicht eines Engels.

Doch konnte man bereits das Teuflische an ihr sehn. Die Augenbrauen waren finster zusammengezogen, die Mundwinkel hingen verächtlich herab. Die beiden Löcher an ihrem Hals sprachen eine deutliche Sprache. Das Böse wütete bereits in ihr.

Der Pfähler strich mit seinen Fingerkuppen sanft über die beiden Bisswunden.

„Hhhhhhhhhhhhhhh!!!!!!!!!!“

Ein langgezogenes Ächzen, welches schaurig in der Leichenhalle widerhallte, drang aus ihrem Mund. Die Zeit drängte. Lange dauerte es nicht mehr, dann würde sie aufstehn.

Die Finger des Pfählers schoben Oberlippe ein wenig nach oben. Wissend nickte er. Die Eckzähne waren bereits gewachsen und spitz geworden.

„Hhhhhhhhhhhhhhhhhhh!!!!!!!!!!!!!“ Wieder dieses Ächzen. Bewegte sie nicht bereits den Kopf etwas?

Es wurde Zeit.

Der Pfähler nahm Eichenpfahl und Hammer vom Tisch. Mit der Linken positionierte er die Spitze des Pfahls direkt unter der Brust. Dann holte er mit dem Hammer aus. Brutal schlug er zu. Der Eichenpfahl wurde wuchtig in ihr schwarzes Herz gerammt.

„Aaaaaaaaaaaahhhhhh!!!!!!!!!!!“

Die Untote brüllte tierisch. Weit riss sie die Augen auf. Ihre Hände umklammerten den Eichenpfahl. Wild warf sie den Kopf hin und her. Sie fletschte die Zähne, fauchte und schrie. Noch einmal bog sich ihr Körper durch, Dann sank sie in ihr Sargkissen zurück. Ihr Gesicht entspannte sich. Ja, sie schien sogar zu lächeln. Die Bisswunden verschwanden. Das Böse wich.

Sie war erlöst!

Dies alles hatte der Pfähler gefühlslos mit angesehen. Und er nickte zufrieden. Achtlos warf er den Hammer zu Boden. Nun aber musste er sich beeilen, denn der Schrei war mit Sicherheit von den Dorfbewohnern gehört worden. Flink huschte er hinaus in die Nacht. Mit einem gewaltigen Satz sprang er auf die Kirchhofsmauer. Zusammengekauert blieb er hocken.

Ja, da kamen sie. Er hörte schon ihre Schritte, ihre aufgeregten Stimmen. Sah das unruhige Flackern der vielen Fackeln. Er öffnete sein Maul. Für einen Moment waren seine spitzen Eckzähne zu sehn. Er warf  seinen Kopf in den Nacken. Für einen Moment badete er sein bleiches Gesicht im Schein des Vollmonds.

Dann begann seine Gestalt zu schrumpfen, wurde kleiner und plötzlich hockte eine große Fledermaus auf der Mauer. Sie breitete die Flügel aus und flatterte spiralförmig in die Höhe. Über den Baumwipfeln zog sie noch einen weiten Kreis.

Dann schwebte der verwandelte Pfähler entgegengesetzt der Dorfmeute davon. Seine Arbeit war getan.

Das hätte noch gefehlt, dass sein eigenes Opfer des Nachts umging um ihm seine Beute streitig zu machen.

 

ENDE

Foto: Klaus Beermann