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Kommentar: Freifunk wär auch eine Lösung gegen Mobilfunkmasten

In der letzten Sitzung im Stadtrat wurde das Thema Mobilfunk wieder auf die Agenda gesetzt. Mit nur einer Gegenstimme soll sich noch vor der Sommerpause erneut damit beschäftigt werden. Doch der Stadtrat taumelt zwischen Ratlosigkeit und Selbstgefälligkeit.

Was ist Neutralität?

Kurz vor der Sitzung werden 623 Unterschriften übergeben. Zweck ist nicht, den Mobilfunk per se abzuschaffen, dazu hat Kitzingen weder die Möglichkeiten noch ist dies beim wirtschaftlichen Nutzen des Mobilfunks ratsam. Aber wie viele Masten man tatsächlich für eine Netzabdeckung bräuchte, darüber müsste schon geredet werden. Und deswegen kommt von Frau Dr. Endres-Paul (SPD) der Vorschlag noch vor der Sommerpause eine „erweiterte Stadtratssitzung“ zu machen, in der ein „neutraler“ Mediziner und ein „neutraler“ Jurist das Thema Mobilfunk beleuchten. Herr Böhm regt noch an, einen Techniker oder Wissenschaftler einzuladen. Die sich entspinnende Debatte über das Wörtchen „neutral“ zeigt schon, dass es da eine echte Neutralität gibt: Wer sein Brot nicht von der „Industrie“ bekommt, der bekommt es von klagewütigen Anwohnern oder anderen „Wutbürgern“ und Strahlengeängstigten. Selbst universitäre Einrichtungen kann man seit der Fremdmitteleinwerbung für Forschung nicht mehr als neutral betrachten. Aber Frau Dr. Endres-Paul ist sich sicher, dass sich neutrale Referenten noch vor der Sommerpause finden lassen werden.

Mobilfunkmast aussitzen

Auch ein Thema ist ein beantragter Mobilfunk-Mast. Was die Stadtverwaltung tun wird? Nichts. Aussitzen. Denn im schlimmsten Fall wird gerichtlich erreicht, das der Antrag zu behandeln ist. Es gibt zwar keinen Beschluss dazu, doch der Stadtrat nimmt diese Ausführung von Herrn Graumann (Bauamtsleiter) eher wohlwollend zur Kenntnis.

Doch die Zustimmung hält sich bei den Anwesenden Vertreten der Bürgerinitiative in Grenzen: Wenn die Verwaltung auf Zeit zu spielen versucht, bringt für die Anwohner das Risiko, dass der Mast am Ende doch genehmigt werden könnte.

Konkurrenztechnologien – Strahlungsleistung in den Hundertsteln

Was dem Stadtrat vollkommen entgangen ist, ist der Blick auf Konkurrenztechnologien zum Mobilfunk. Da gibt es zum Beispiel WLAN, dass in beinahe sämtlicher netzwerkfähiger Verbraucherelektronik inzwischen Einzug gefunden hat. Viele Geräte wie Tablets und Laptops haben sogar nur WLAN, aber keinen Mobilfunk. Und da Mobilfunk maximal mit 100 mW strahlen darf (der Großteil der Verbraucherelektronik strahlt tatsächlich sogar nur mit 30 mW) sind die Reichweiten relativ klein. Das bedingt wiederum eine große Anzahl von AccessPoints, die es zu Verwalten und zu Warten gilt. Damit ist das Geschäft mit dem WLAN für Mobilfunk-Konzerne wegen des hohen Handlingaufwands sehr unattraktiv. Verglichen mit den Strahlungsleistungen von Mobilfunk-Masten liegt das WLAN jedoch im Bereich von Hundersteln.

Werden die richtigen Leute gefragt?

So kann man auch dem Stadtrat eine gewisse Blindheit unterstellen: Ein Mediziner – neutral oder nicht – ist reichlich unerheblich wenn es um Mobilfunk geht. Auch ein Techniker oder Wissenschaftler – egal ob neutral oder nicht – ist unerheblich. Und selbst der Jurist ist absolut nachrangig, kehren Juristen doch oft nur die Tränen und Scherben auf, wenn etwas schon bereits schief gelaufen ist.

Wer Mobilfunk-Konzernen zuvorkommen will, anstatt in einer Abwehrhaltung erfolgte Bauanträge juristisch abzuarbeiten, der muss die Denkweise dieser Unternehmen begreifen. Und die Denkweise in der Industrie ist grundsätzlich auf das Geld verdienen angelegt. Die passende Fragestellung ist also nicht, „Wie verhindere ich einen Masten juristisch?“, sondern die passende Fragestellung ist viel mehr: „Was macht diesen Masten wirtschaftlich oder unwirtschaftlich?“. Und da gibt es bestimmt neben technischen Kennzahlen auch wirtschaftliche Kennzahlen: Auf einem Acker werden weniger Leute telefonieren wie in einer Innenstadt, was direkt Eingang in die Entscheidungen des Netzausbaus findet. Wenn ein Referent wirklich etwas sagen kann und etwas zu sagen hat, dann ein Wirtschaftsreferent – der aus der Industrie kommt und die Kennzahlen preisgeben kann.

Neben dem Wirtschaftsreferenten sollte man auch Leute einladen, die sich mit Ersatztechnologien beschäftigen, wie zum Beispiel WLAN. Inzwischen heben Gerichte nach und nach die komische Rechtssprechung der „Stöhrerhaftung“ von unkommerziellen AccessPoint-Betreibern auf. So muss man nach neuesten Urteilen beispielsweise bei der Vermietung von Ferienwohnungen nicht mehr fürchten, dass die Gäste mit Urheberrechtsverstößen oder anderem Kram den Gastgeber schädigen. Und auch technische Möglichkeiten, wie das Routing per VPN durch einen Server im Ausland geben hier dem AccesssPoint-Betreiber rechtliche Sicherheit.

Freifunk – Netze in Bürgerhand

Besonders weit ist eine relativ kleine Community, die sogenannten „freifunker“, die die WLAN-Technik weiterentwickelt und verbessert haben, so dass man flächendeckende Netze aufbauen kann. Wir haben hier bereits über freifunk berichtet. Das schöne an einem solchen „freifunk“-Netz: Es gehört den Bürgern, es gibt keine fiesen Hintertüren in der Software und es behandelt alle Daten gleich. Es gehört nicht Industriekonzernen, die das Netz gegebenenfalls nach eigenen wirtschaftlichen Interessen auch mal gegen die Bürger oder gegen Konkurrenten betreiben.

Beim Wasser und bei der Bahn sind sich weite Teile der Deutschen Bevölkerung in der Ablehnung einer Privatisierung einig. Kitzingen hat mit seinem technologiefernem Stadtrat leider versäumt, eine der ersten Städte zu werden, die WLAN als freiwilligen Bestandteil der Grundversorgung und als Infrastrukturinvestition begreift und Touristen, Einwohnern und Shoppern in der Innenstadt einen kostenlosen Zugriff auf ein in Bürgerhand liegendes WLAN-Netz ermöglicht. Ein solches WLAN-Netz in der Innenstadt wird definitiv Einfluss auf die wirtschaftlichen Kennzahlen eines jeden Mobilfunk-Mastes in Kitzingen zeigen, da hier der Internetverkehr viel schneller und ohne Volumenlimitierung fließen kann. Der Aufwand für einen „WLAN-Mast“ liegt bei 50 €, absolut genehmigungsfrei und somit klar im Vorteil gegenüber Mobilfunk-Masten. Bevor der Betreiber seinen Mast durchgeklagt hat, ist – politischer Wille vorausgesetzt – bereits das freifunk-WLAN-Netz fertig errichtet.

Und die Bürgerinitiative Risiko Mobilfunk?

Letztendlich trifft die Schuld, wenn der beantragte Mast doch genehmigt werden muss, nicht nur die Verwaltung und den Stadtrat wegen langer Inaktivität in dem Thema. Auch die Bürgerinitiative, die sich mit 623 Unterschriften in einer reinen Ablehnungshaltung der konkreten Maßnahme mit der grundsätzlichen Befürwortung der Mobilfunk-Technologie positioniert, trägt vielleicht ungewollt am Ende ihren Teil zur Realisierung dieses Mobilfunk-Masten bei. Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass – das lässt sich oft nur schwer vermitteln. Die daraus resultierende sehr häufige vorangestellte Betonung der grundsätzlichen Technologiebefürwortung führt dann oft das ernst gemeinte Anliegen in der Argumentation ad absurdum. Deswegen bleibt einer Bürgerinitiative aus „Marketing-Gründen“ eigentlich nur die Optionen, offen und teilweise auch populistisch das Gesamtwerk zu verteufeln und mit dem Zuruf „Technologiefeinde“ zu stolz leben oder sich für etwas anderes zu positionieren. Etwas, das die angestrebte Maßnahme obsolet macht oder damit kollidiert. Bei Windkraftgegnern hatte beispielsweise eine Bürgerinitiative für die Ausweisung einer Kiesgrube mal frei nach dem Motto „das Loch ist zwar nicht schöner, wirft aber keinen Schatten und sieht man nicht so weit“ Erfolg, da die Flächennutzung kollidierte. Die Frage ist nur, ob Mobilfunk-Mast-Gegner so sehr um die Ecke denken können, dass Sie verstehen, wie ein flächendeckendes freifunk-WLAN-Netz in der Stadt Mobilfunk-Masten wirtschaftlich obsolet machen wird?