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Hallo Schwester…

Der Kriminalkommissar saß wie versteinert in seinem Sessel. Etwas Seltsames schien sich in ihm abzuspielen. Es war, als dränge eine fremde Macht in seinen Schädel ein um ihn zu etwas bestimmten zu drängen.

Soeben kam seine Frau in das Wohnzimmer.

„So Schatz, ich wär soweit. Wir können.“

Er reagierte nicht.

„He, wir wollten doch einen ausgedehnten Waldspaziergang machen, wenn du schon mal frei hast.“

„Wir gehen am Main spazieren“, sagte er bestimmt.

„Wieso am Main, ich denke wir wollten in den Wald.“

„Wir gehen am Main spazieren!“

„Und wieso?“

„Weiß nicht. Wir gehn am Main spazieren.“

Sie verzog leicht genervt die Mundwinkel und zuckte die Achseln. „OK, gehen wir halt am Main spazieren:“

„Komm“, sagte er, stand ruckartig auf und ging zur Tür, „es wird Zeit.“

Emma schlenderte gemächlich am Mainufer entlang. Sie war bester Laune, denn bald würde sie über das Vermögen ihres kürzlich verstorbenen Vater verfügen können. Ihre Schwester war kurz nach dem Tod ihres Vaters vergiftet aufgefunden worden. Sie hatte den Tod ihres Vaters nicht verwunden und deshalb Suizid begangen. So stand es in den Akten.

Emma war deshalb nicht etwa traurig. Sie hätte das Vermögen mit ihr teilen müssen. So aber gehörte ihr alles ganz allein.

Behaglich sog sie den Duft dieses herrlichen Frühlingstages ein, lauschte dem Zwitschern der Vögel, dem Summen und Brummen der Insekten und dem Zirpen der Grillen. Auch den sanften Wind, der die Blätter von Büschen und Bäumen streichelte, genoss sie. Sie war rundum zufrieden und träumte von der rosigen Zukunft.

Da geschah etwas Seltsames:

Die Vögel zwitscherten plötzlich nicht mehr. Die Insekten waren nicht mehr zu hören und auch die Grillen schwiegen. Selbst der Wind legte sich. Es wurde still, sehr still.

Totenstill!

Ein mehr als unbehagliches Gefühl kroch in ihr hoch. Dann hörte sie Schritte hinter sich! Die Frau spürte einen unangenehmen Schauer. Langsam drehte sie sich um.

Aber da war niemand. Und von den Spaziergängern hinter sich konnte es keiner gewesen sein. Dafür waren sie noch zu weit weg.

Dann war der Spuk auch schon wieder vorbei. Die Tiere begannen erneut mit ihrem Konzert und auch der Wind wehte wieder sanft.

Seltsam! Irritiert ging sie weiter. Ihre Laune war längst nicht mehr so gut vorhin.

Dann geschah es wieder!

Wieder diese bleierne Stille. Wieder diese Schritte hinter sich. Emma spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Und sie spürte noch etwas:

Angst!

Sie drehte sich um. Und erschrak.

Vor ihr stand eine weißlich durchscheinende Gestalt. Wie wabernder Nebel, der die Form einer Frau hatte. Dann löste sich die unheimliche Gestalt auch schon wieder auf.

Wieder erwachten die Tiere und der Wind.

Emma aber schüttelte schwer atment den Kopf. Die Spaziergänger hinter ihr, die inzwischen ein ganzes Stück näher gekommen waren, bemerkte sie kaum. Sie wollte weg hier. Der Zauber dieses herrlichen Frühlingstages war längst verflogen.

Dann schwieg die Natur ein drittes Mal. Wieder diese bleierne, erdrückende Stille. Doch diesmal hörte sie keine Schritte, sondern spürte eine eiskalte Hand auf ihrer Schulter. Sie erstarrte und ihre Angst verstärkte sich. Als sie sich umdrehte packte sie das nackte Grauen, umkrallte sie das pure Entsetzen mit eiskalten Fingern.

Vor ihr stand eine durchscheinende Gestalt, ein Geist, gekleidet in ein Totenhemd.

DER GEIST IHRER VERSTORBENEN SCHWESTER!

„Helena….“, hauchte sie fassungslos.

„Hallo Schwester…“, sagte der Geist. Die Stimme schien aus unendlichen Fernen zu kommen und war doch genau zu verstehn.

„Das kann… doch nicht sein…du bist doch…tot.“

„Ja, ich bin tot.“

„Was willst du, lass mich in Ruhe.“

„Ich werde dich in Ruhe lassen, sobald du zugegeben hast, dass du mich vergiftet hast.“

Da verzerrte sich das Gesicht von Emma zu einer hasserfüllten Fratze.

„Ja, ich habe dich vergiftet und ich würde es wieder tun!“

„Und warum hast du mich vergiftet?“

„Weil ich nicht einsehe das Vermögen unseres Vaters mit dir zu teilen.“

Da lächelte der Geist. „Jetzt, Schwester, werde ich dich in Ruhe lassen.“

Die Erscheinung wurde durchscheinender und durchscheinender, bis sie schließlich ganz verschwunden war. Die Natur wurde wieder lebendig. Die Vögel zwitscherten, die Insekten summten, die Grillen ließen ihr Konzert hören und der Wind strich sanft über ihr schweißnasses Gesicht.

Und sie sah die Spaziergänger, die vor ihr standen und sie erstaunt und entsetzt anblickten. Ein Mann löste sich aus der Gruppe und legte seine Hand auf ihre Schulter.

„Sie haben vor all diesen Zeugen soeben ein Geständnis abgelegt. Ich verhafte sie wegen des dringenden Verdachtes ihre Schwester aus niederen Beweggründen ermordet zu haben.“

 ENDE