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Stadtmarketingverein, werd doch endlich wach!

Nachdem die rauschenden feste des Konsums wie Weihnachten und Silvester vorbei sind, macht sich unser Autor Andreas Witte über den Konsum und die Zukunft des Einzelhandels in Kitzingen Gedanken.

Lieber Stadtmarketingverein. Nein, ich bin kein Einzelhändler und deren Schicksal ist mir auch eigentlich egal. Ich habe da keine emotionalen Bindungen an spezielle Geschäfte und auch sonst kein nennenswertes Interesse am Einzelhandel, außer: Ich bin Euer Kunde! Ich will von Euch tolle Produkte kaufen, wenn ich gerade danach Lust habe, den Inhalt meines Geldbeutels im Jagdtrieb auszugeben.

Und was macht Ihr? Ihr schließt Geschäfte. So was Altbackenes wie Geschäfte lohnt sich ja in Zeiten des Internets nicht mehr… und die wenigen verbleibenden Geschäfte haben immer nur das gleiche Sortiment mit mehr oder weniger unterschiedlichen Preisen und in unterschiedlicher Darbietung.
Aber wenn es mir um Preise gehen würde, könnte ich Kraft des Internets auch Textilien direkt in Bangladesch beim Produzenten kaufen. Wenn es mir um die Darbietung geht, kann ich mir die Aufzeichnung von Modeschauen auf Youtube anschauen. Das eine dauert dann halt 1-3 Monate bis die bestellte Ware da ist oder man bezahlt entsprechend für Luftfracht. Beim anderen bleibt die Ware eben platt im Bildschirm; aber seid Euch da nicht so sicher, denn 3D-Videotechnik ist bereits im gehobenen Heimbereich angekommen und wird sich langsam, ähnlich wie Farbfernsehen, durchsetzen.

Das Internet ist ein mächtiges Werkzeug um Wissen auszutauschen und auch um Bedürfnisse zu wecken. Und es geht auch nicht mehr weg; die meisten technologischen Fortschritte haben den Handel verändert. Hat der Neandertaler noch ein paar Kupfernuggets zu Fuß über die Alpen getragen, haben das Rad und römische Straßen den Handel weiter verändert. Wenn Ihr mit Eurer peinlichen Kampagne „Lass den Klick in deiner Stadt“ um Klick‘s bettelt, dann ist das wie ein Neandertaler der sich gegen den Warentransport auf Rädern positioniert. Es war mir so peinlich, dass ich mich zum Teil mit Freunden, die mich besucht haben, nicht in die Innenstadt oder nur sehr wiederwillig in selbige getraut habe. Denn die kommen aus der Zivilisation der Großstadt – die Diskussion ist dort bereits abgeschlossen mit dem Ergebnis, dass es in allen Bereichen der Gesellschaft immer laufen Veränderung gibt und es keinen Sinn macht, gegen die Veränderung anzukämpfen.

Ja ich kann die Angst verstehen, wenn plötzlich alle im Internet einkaufen. Mit dem Katalogversand hat die Transformation des Handels aber eigentlich schon angefangen, schleichend. Nicht ganz so schnell, man musste ja erst den Katalog haben und dann konnte man erst auf umständlichen Formularen bestellen. Trotz aller Angst, dass sich Ladengeschäffte nicht mehr lohnen könnten, ist eine Verweigerung gegenüber verändertem Verhalten von Kunden immer der sichere Weg in die Schließung weiterer Geschäfte.

Deswegen frage ich mich als Konsument, wie der Stadtmarketingverein eigentlich gedenkt, Kaufkraft der jungen digitalen Generation wieder in die Ladengeschäfte reinzubringen?

Mit „Schecks in the City“? A-ha-ha-ha, Scheck’s, damit habe selbst ich als 1987ger-Geburtsjahr noch nie selbst bezahlt. Und die, die ich mal bekommen habe, sind bei der Einlösung dann entweder geplatzt oder waren extrem teuer in der Einlösung, so um die 5 oder 6 Mark, nur um 25 Mark zu bekommen. Ich werde mir also bestimmt keine Schecks zur Bezahlung zulegen. Auch nicht etwas, dass sich nach diesem Urzeit-Bezahlungsmittel benennt, und schon gar nicht, wenn ich dann damit lokal an eine Hand voll Händler gebunden bin, die mir derzeit eh kein Vollsortiment bieten können.

Ja, der Stadtmarketingverein könnte eine extrem wirkungsvolle Waffe gegen den Kaufkraftabfluss sein. Könnte. Würde er sich nicht auf die Kaufkraft einer einzigen, aussterbenden Generation festlegen, die sich den Innenstadtbummel einfach leisten kann und es dabei komplett versäumen, das Einkaufserlebnis in der Innenstadt „cool & hip“ zu gestalten. „Cool & Hip“, so würde das zwar kein Teenager im Kaufrausch bezeichnen, aber ich glaube mit dieser Benennung könnt ihr noch ansatzweise was anfangen.

Deswegen nehmt zuerst Eure peinliche „Klick-Bettelei“ aus den Schaufenstern. Klick-mich-Links waren schon „Out“, als ich noch in der Schule war. Das ganze dann auch noch auszudrucken und ins Schaufenster zu hängen ist dann die Krone des digitalen Analphabetismus. Ihr werdet hier doch sowieso nur von den Sponsoren dieser Aktion „veräppelt“, denn deren Logo ist im Mittelpunkt des Plakats angeordnet und die ganze Aktion so lieblos gestaltet, dass man sie auch für Dubai und New York einsetzen könnte, wenn man die Kitzinger Skyline unten austauschen würde.

Dann setzt Euch endlich mal zusammen. Jeder bringt sein Sortiment mit, nicht physikalisch, sondern virtuell. Als Anfang wäre eine Excel-Datei schon nicht so verkehrt. Wesentliche Merkmale: Produktbezeichnung und Hersteller, eine Produktbeschreibung, idealerweise ein Bild, der Preis. Dann muss der Stadtmarketingverein Eure Sortimente zusammensetzen. Daraus eine Webseite erstellen, die den „Kitzinger Warenkorb“ oder das „Kitzinger Sortiment“ abbildet. Gestaltet wie ein Online-Shop. Wie ein Laden im Internet, präsentiert Ihr nun Eure Waren gemeinsam im Netz. Dadurch wird das Sortiment größer die Auswahl breiter. Wer sich für einen bestimmten Kochtopf interessiert, könnte auch an Kochbüchern Interesse haben, die aber beim Buchhändler liegen. So funktionieren gemeinsame Verkaufsportale wie Amazon, alleine, da gebe ich Euch Recht, seid ihr dagegen relativ machtlos, zumal auch eine gut gemachte Internetseite so viel Kosten und Aufwand verursachen kann, wie eine kleine Filiale. Mit einer gemeinsamen Plattform kommen also nicht nur Kostenvorteile bei der Umsetzung, sondern auch Vorteile durch digitale Kundenwanderungen und ähnliches.

Wenn der Stadtmarketingverein schlau ist, baut er verschiedene Funktionen ein, die einen Übergang zwischen Ladengeschäft und Internet bilden. Bezahlen und Kaufen im Web, danach im Laden die richtige Größe anprobieren und mitnehmen. Im Internet eine „Shoppingtour“ zusammenstellen, also eine Einkaufsliste von Produkten die sich der Kunde anschauen will mit Karte, wie er von einem Geschäft zum nächsten kommt und wo dazwischen Locations zum auffüllen der eigenen Reserven liegen, beispielsweise Café’s oder Toiletten. Und natürlich nicht nur zum Ausdrucken, sondern auch zum Mitnehmen auf dem Smartphone. Damit könnt ihr beim Kunden punkten, das ist unglaublich praktisch!

Hebelt dann das doch Ladenschlussgesetz aus, denn im Internet gilt das auch nicht! Warum sollte ich mir im Internet nicht einen „privaten Beratungs- oder Besichtigungstermin“ in der Filiale außerhalb der Öffnungszeiten vereinbaren? Der Laden ist ja für alle zu, Ladenschlussgesetz damit erfüllt, der vereinbarte Termin kein Publikumsverkehr. Das ist auch einer der Gründe, warum ich gerne im Internet kaufe: Ich muss mich nach Arbeitsende noch stressen, vor 18 oder 20 Uhr in einen Laden zu kommen, sondern kann erst was kochen und essen und dann gemütlich rumsurfen.

Alternativ kann man auch aufregende Themenveranstaltungen in den Filialen machen. Nach einer Mediavision zum Thema „Kultur in Grönland“ lässt sich Winterkleidung und Grönländische Literatur anbieten. Ein oder zwei Euro Eintritt, damit es auch wirklich die Charakteristik einer geschlossenen Veranstaltung hat und keine Ladenöffnung ist und fertig ist die Umgehung. Wenn man es geschickt macht, wechseln diese geschlossenen Veranstaltungen von Geschäft zu Geschäft und die angebotenen Waren werden jeweils von mehreren Händlern beigesteuert. Dann wird das auch breiter beworben und es können auch Geschäftsstandorte promoted werden, die nicht direkt am Marktplatz liegen.

Wenn ihr dann noch eins draufsetzen wollt: Heimservice. Schon Baumärkte haben den Heimservice für sich entdeckt. Wenn ich in der Stadt rumbummle, um mir die Zeit zwischen Termin und Termin zu vertreiben, wäre es nervig wenn nicht sogar unpassend, am zweiten Termin mit Einkaufstaschen aufzutauchen. Folglich kaufe ich nichts. Seht es als Service an, dem Kunden zum Wunschzeitraum seine gekauften Waren an seiner Haustüre zu übergeben. Außerdem ist ein Kunde, dessen Arme nicht schon vom Gewicht des Gekauften gestreckt sind, willens, weiter einzukaufen. Und psychologisch ist dieser Heimservice wie eine Kreditkarte: Man merkt man gar nicht wie viel man schon eingekauft hat, weil man es nicht mit sich von Geschäft zu Geschäft tragen muss.
Wenn das gut organisiert ist, kommt man mit einem gemeinsamen Lieferfahrzeug aus, welches im Zweischicht-System besetzt wird und zwischen 6 und 22 Uhr den Lieferservice auch am Samstag und Sonntag anbietet. Pendler gehen früh und kommen spät, nicht ohne Grund sind Pendler die Zielgruppe vieler Onlinehändler und Paketstationen Renditeobjekte von DHL. Die machen auch am Sonntag keine Pause, warum sollte sich die Stadt Kitzingen also gegen eine Ausnahmegenehmigung für Sonntagsarbeit sträuben, wenn es in Kitzingen die Kaufkraft bindet und die Innenstadt am Leben hält?

Und wenn ihr so weit seid, dass man schon im Internet bestellen kann und über einen eigenen kollektiven Lieferdienst im Bereich Kitzingen die Ware zum Kunden bringt, dann nutzt die beiden Bausteine und kombiniert sie! Ein Onlinehändler der genau dann liefert, wenn ich wirklich daheim bin, das kann Standard-Online-Billigheimer einfach nicht bieten! Der Liefert, wenn der Postbote oder Kurierfahrer kommt und der kommt immer dann, wenn ich nicht daheim bin.

Wenn das alles so weit läuft, nehmt Geld in die Hand. Online-Werbegiganten wie Google bieten ein sehr gutes „Targeting“, also sprich die Einblendung von Werbung bei Kunden, die interessant sein könnten. So sehr mancher über seine Überwachung von Google schimpft, Ihr könnt sie Euch zu nutze machen! Mit den passenden Filtern erwischt man die Bewohner im Landkreis Kitzingen geziehlt auch im Internet. Und zwar auf allen Seiten und Plattformen, die Google-Werbung einbinden, auch auf Ausländischen und fremdsprachigen Seiten! Anstatt über Google als Preissuch- und Preiskampfmaschine zu schimpfen sollte man sich über die Produkte von Google erst mal klar sein und diese zum eigenem Vorteil einsetzen.

Und wenn Ihr Euch bei der Umsetzung an der Struktur des von außen überaltert wirkenden Stadtmarketing-Vereins die Zähne ausbeißt: Es ist den Kampf wert, wenn Euch Eure Geschäfte und Eure Kunden etwas bedeuten. Notfalls auch einfach austreten und neuen Verein gründen, der nicht um Klicks bettelt sondern tatsächlich Kaufkraft aus dem Internet in die Innenstadt holt. Wer macht und umsetzt, der hat am Ende Recht.

Und über die Möglichkeiten, diese Dinge mit Smartphone-Apps zu verbinden und so die Aufenthaltszeit von Internet-affinen Kunden in den Geschäften zu verlängern, über die Möglichkeit die Schnäppchenjagd mit Gamification anzuheizen und so letztendlich auch den Umsatz zu vergrößern habe ich hier noch gar nichts geschrieben. Aber alles, was ich oben beschreibe, ist für jeden einzelnen Händler zu groß, um es alleine zu stemmen.

„Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“ Gustav Heinemann

Ein Ladengeschäft ist im Zeitalter des Onlinehandels keine emotionale Kostenstelle, die man mitschleppt, weil man sonst im Paterre seiner Immobilie keinen Mieter mehr hätte und es weniger kostet, weiter den Ladenbesitzer zu spielen. Ein passendes Internetangebot und ein Landengeschäft ergänzen sich miteinander perfekt, wenn man auch versteht, beides miteinander zu verbinden. Nutzt es verdammt noch mal! Ich will Geld in der Stadt lassen, ich will einkaufen und nicht „auf Webseiten klicken“ , die auf einem technischen Stand aus der Mitte der 90‘s sind und nicht mal das aktuelle Sortiment anzeigen können!